Carminho - Maria (2018)

Carminho öffnet sich mit "Maria" als herausragende Sängerin des Fado vorsichtig anderen Stilrichtungen.

Wenn man so will, ist Fado der Blues Portugals. Jedenfalls schwingt in dieser wortreichen portugiesischen Volksmusik, die dem französischen Chanson näher ist als dem meisten anglo-amerikanischen Pop, stets eine melancholische Seite mit. Fado hat allerdings längst Einzug in die Pop-Musik gehalten. So erlangte z.B. die Formation Madredeus in den 1990er Jahren einen relativ großen Bekanntheitsgrad. Ihre Musik wurde unter anderem vom Film-Regisseur Wim Wenders in der „Lisbon Story“ von 1994 verwendet und dadurch einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.
Auch Carminho, die im Privatleben den klangvollen Namen Maria do Carmo de Carvalho Rebelo de Andrade trägt, gilt als Fado-Erneuerin. Sie hält zwar die Tradition aufrecht, verschließt sich aber nicht alternativen Strömungen und Veränderungen, die sie moderat in ihre Musik einbaut. Fado liegt ihr im Blut. Kein Wunder, denn auch ihre Mutter Maria Teresa da Câmara de Siqueira Archer de Carvalho (noch so ein wohlklingender Name!) ist unter dem Pseudonym Teresa Siqueira als Sängerin der traditionsreichen Volksmusik bekannt. Fado hatte übrigens seinen Ursprung um 1820 in den Armenvierteln von Lissabon und bedeutet übersetzt so viel wie Schicksal. Die Themen der Lieder handeln entsprechend häufig von Weltschmerz, Liebeskummer oder sozialer Ungerechtigkeit.

„Maria“ ist bereits das fünfte Album von Carminho, die bei sieben Stücken an der Komposition beteiligt war und das Werk auch produziert hat. Bernardo Couto lässt bei den Songs „O Menino E A Cidade“, „A Mulher Vento“ und „Se Vieres“ die Portugiesische Gitarre klingen. Weitere Gitarristen sind José Manuel Neto (bei „O Começo (Fado Bizarro) und „Quero Um Cavalo De Várias Cores“) sowie Luis Guerreiro (bei „Sete Saias“, „Poeta“ und „Pop Fado“). Carminho ergänzt „Estrela“ mit E-Gitarren-Tönen. Außerdem ist Flávio César Cardoso auf der traditionellen Viola de Fado zu hören und José Marino de Freitas lässt einen akustischen Bass ertönen. João Paulo Esteves da Silva am Piano und Cunha Monteiro an der Pedal Steel- und E-Gitarre komplettieren die Begleiter. Ohne instrumentale Unterstützung leitet „A Tecedeira“ pathetisch leidend und klagend die Platte ein. Dieser Zustand wird für „O Começo (Fado Bizarro)“ mit Bandbegleitung fortgeführt.
„Desengano (Fado Latino)“ dockt den Fado an die Bossa Nova aus Brasilien an, was schon 2016 mit der Platte „Carminho Canta Tom Jobim“, einer Hommage an Antonio Carlos Jobim („The Girl From Ipanema“), stattgefunden hatte. Für „O Menino E A Cidade“ fädelt die 34jährige Portugiesin ihre schwermütigen Töne in ein Geflecht aus sehnsüchtiger südeuropäischer Folklore und verhaltenen, schwebenden Klangwolken ein. Das lässt die Stimme älter erscheinen, als sie eigentlich ist. Die bittersüße Ballade „Estrela“ geht danach sehr zu Herzen und besticht durch dynamischen Gesang, der grade in den filigranen Momenten intensiv ist.
Unreflektierte Ausgelassenheit gehört nicht unbedingt zu den Empfindungen, die Carminho oft zur Schau stellt. Und so erscheint das etwas lebhaftere „Pop Fado“ auch merkwürdig hölzern und wirkt trotz einer Stippvisite im Gypsy-Swing etwas gestelzt. „Poeta“ sorgt mit seinem fröhlichen, beinahe tanzbaren Zwischenspiel überzeugender für positiv gestimmte Laune. Die mit zwölf Stahlsaiten bestückte Portugiesische Gitarre, die ähnlich wie eine Mandoline klingt, lässt für „A Mulher Vento“ funkelnde Zuversicht erklingen. Melancholie legt sich aber wie ein betäubender Schleier über diesen Hoffnungsschimmer. Dezent eingeschobene flirrende Töne versetzen das Stück zwischendurch noch geschmackvoll in mystische Gefilde.
„Se Vieres (Fado Sta. Luzia)“ sorgt im Schunkel-Takt für gediegene Gemütlichkeit. „Quero Um Cavalo De Várias Cores“ verbindet Weltmusik-Exotik mit einem raffinierten Singer-Songwriter-Arrangement zu einem dramatisch-traurigen Lied. Das volkstümliche „Sete Saias“ hat einen Pop-Kern und wird nur spartanisch begleitet. Die von Schwebeklängen umwölkte Piano-Ballade „As Rosas“ bildet einen schwermütigen Abschluss, der eher nach anspruchsvollem Chanson als nach traditionellem Fado klingt.
Carminhos Musik bringt Leidenschaft und Leiden zusammen. Wer sich mit der opernhaften, theatralischen, pathetischen Stimme arrangieren kann, erlebt hier eine engagierte, klare, kraftvolle, ausdrucksstarke Gesangsleistung, die reif und überzeugend klingt. „Maria“ ist nicht nur ein persönliches Album geworden, sondern zeugt von Umbruch und spiegelt auch ein Stück Emanzipation wider: Emanzipation von Traditionen und von einer vorgefertigten Erwartungshaltung.
Besonders eindringlich wird die Musik, wenn sich die Künstlerin ganz leise, sanft und verwundbar zeigt. Dann beweist sie einmal mehr eine selbstbewusste, stilübergreifende Haltung, die universell funktioniert und unbedingt dazu anregt, in Zusammenarbeit mit anderen unkonventionellen Musikern weiter zu reifen und zu gedeihen. Und so würde es nicht verwundern, wenn diese großartige Sängerin demnächst im Umfeld von Peter Gabriel, David Byrne oder Ry Cooder auftaucht.
Das schöne Estrela vermittelt einen guten Eindruck von Carminhos Musik:

Erstveröffentlichung dieser RezensionCarminho - Maria

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