The Low Anthem - The Salt Doll Went To Measure The Depth Of The Sea (2018)

The Low Anthem haben sich von fragilen Folk-Musikern zu phantasievollen Art-Pop-Künstlern entwickelt.

Die Freunde Ben Knox Miller und Jeffrey Prystowsky aus Providence im US-Bundesstaat Rhode Island brachten 2006 ihre ersten Aufnahmen als Köpfe der aus wechselnden Mitgliedern bestehenden Formation The Low Anthem heraus. Zart gesponnener, intimer Folk wurde ihr Markenzeichen, es kamen aber auch Einflüsse aus psychedelischer Musik, Gospel, Country und Blues zum Zuge. Diesen Stil vervollkommneten die Musiker 2008 mit ihrem dritten Studio-Album „Oh My God, Charlie Darwin“. Dem puren, akustischen Americana-Sound fügten sie dann 2016 auf „Eyeland“ atmosphärische, elektronische Verzierungen hinzu. Diese Kombination spielt nun auf dem neuen Werk eine zentrale Rolle.

„Bone Of Sailor, Bone Of Bird“ und „Drowsy Dowsing Dolls“ könnten auch als Kompositionen des schwedischen Songwriters José González durchgehen, der mit seiner Gruppe Junip einen ähnlich betörenden, dunklen, elektronischen Dream-Pop entwarf. 


Das akustische Folk-Stück „River Brine“ wird im Falsett-Gesang vorgetragen, so dass eine feminine Ausrichtung entsteht. Ein klickender Takt gibt dann bei „Give My Body Back“ das Tempo vor und sorgt dafür, dass die Lagerfeuer-Folk-Referenzen zurückgedrängt werden. Die Synthesizer funken für „The Krill Whistle Their Fight Song“ schillernde Signale. Trotz dieser Maschinenklänge ist das Lied wegen des hintergründigen Gesangs ein intimer Entwurf menschlicher Kommunikationsbereitschaft geworden. Die Verletzlichkeit von Elliott Smith findet in „Toowee Toowee“ eine Wiedergeburt, während das verträumte „Coral Crescent“ durch eine einsame Trompete in wehmütige Sphären versetzt wird. „Dotwav“ kann dann lediglich als eine leicht schräge Spielerei aus dem synthetischen Baukasten identifiziert werden. Bei „Cy Twombly By Campfire“ ist die Verschmelzung von sachlichem Singer-Songwriter-Handwerk mit künstlich erzeugten Tönen auf einer songdienlichen Ebene weit fortgeschritten und das an Weltmusik angelegte „Gondwanaland“ vereint Exotik und Sensibilität. Der Minimal-Art-Acoustic-Folk „To Get Over Only One Side“ verliert allerdings in der Gleichförmigkeit beinahe sein Feingefühl. James Blake trifft bei „Final Transmission From The Diving Umbrella“ auf die Fleet Foxes. Durch diese Kombination erschaffen The Low Anthem ein sperriges Mini-Drama.

Der Titel des Albums bezieht sich auf eine buddhistische Fabel, bei der eine Salzpuppe einen Teil ihres Körpers ins Wasser steckt, um den Ozean besser verstehen zu lernen. Dabei verliert sie nach und nach immer mehr von sich selbst und wird so Teil eines großen Ganzen. Das Thema Wiedergeburt rankt sich also als Gedanke um das Album. Nach dem Unfall, den die Band 2016 hatte, sind solche existenziellen Fragen wohl vermehrt ins Bewusstsein der Musiker getreten. Musikalisch hat die Ausweitung auf elektronische Klänge dazu beigetragen, dass der Americana-Anteil in der Musik zurückgedrängt wurde und stattdessen ein künstlerischer Ansatz Raum gefunden hat. Manche Songs sind schon nahe an den grazilen Art-Pop-Konstruktionen eines David Sylvian dran. Die besondere Attraktivität von The Low Anthem macht aber nach wie vor auch ihre Americana-Sensibilität aus. Es bleibt spannend, in welche Richtung sich die Musiker weiter entwickeln werden. Der einzige Nachteil des Albums liegt in seiner geringen Spieldauer: Die zwölf Stücke verteilen sich auf knapp 32 Minuten Laufzeit. Nur drei Tracks sind über drei Minuten lang. Hier gilt wohl: In der Kürze liegt die Würze.
L-R: Ben Knox Miller, Jocie Adams, Mat Davidson and Jeff Prystowsky

Erstveröffentlichung dieser Rezension: Fanzine Roadtracks #52

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