Jeff Tweedy - Warm (2018)

„Warm“ ist ein Soloalbum von Jeff Tweedy mit neuen Songs. Das hilft prima über das Warten auf neues Material von den pausierenden Wilco hinweg.
„Warm“ erzeugt in der Tat ein angenehmes und sehr stimmiges Deja-Vu-Erlebnis. Es beamt uns zurück in die Zeit, als Schallplatten noch als Ganzes wahrgenommen und beurteilt wurden. Als die Musik vollständig von der Persönlichkeit des Künstlers durchdrungen war und sich Musiker noch eigenständig und individuell unterscheidbar präsentierten. Also willkommen in der Welt von z.B. Jackson Browne, Crosby, Stills, Nash & Young, Nick Drake, James Taylor, Tom Waits, Randy Newman, Guthrie Thomas oder Jerry Jeff Walker.
Jeff Tweedy scheint trotz diverser Aktivitäten, wie als Chef von Wilco oder als Mitglied von Loose Fur noch nicht ausgelastet zu sein. Er fand nebenbei noch Zeit für eine gemeinsame Platte mit seinem Sohn Spencer („Sukierae“, 2014) und einem karg-intimen Solo-Album mit Cover-Versionen seiner eigenen Kompositionen („Together At Last“, 2017), die er nur zur akustischen Gitarre vortrug. Nach diesen nackten, bis aufs Skelett runter gebrochenen Songs gibt es auf „Warm“ neue, angefütterte, liebreizende, vertraute, harmonische Lieder zu hören. Behilflich bei der Umsetzung waren Glenn Kotche, Tom Schick und Spencer Tweedy. Zumeist ländlich, Country und Folk bevorzugend ist sie ausgefallen. Die Stimmungslagen bewegen sich zwischen nachdenklich und vorsichtig optimistisch. Zur Steigerung der Aufmerksamkeit nutzt Tweedy manchmal das Stilmittel der gegensätzlichen Abläufe: Ist das Tempo grundsätzlich lebhaft, gibt es mindestens eine Zutat, die bremsend wirkt. Und umgekehrt.
„Bombs Above“ ist filigran. Der Sound nähert sich dem Folk-Jazz, kann aber nicht eindeutig diesem Stil zugeordnet werden. „Some Birds“ ist aufmunternd, die Steel-Guitar jauchzt jedoch manchmal weinerlich, wie einst bei Neil Youngs „Helpless“ und bei „Don’t Forget“ scheint die füllende, umtriebige Steel-Guitar nicht mit dem vorgegebenen forschen Tempo Schritt halten zu können. Behäbig schreitet dann „How Hard It Is For A Desert To Die“ voran. Alle Aktivitäten funktionieren auf Sparflamme. Die Zeit wird gedehnt und lässt den Song dadurch schwerfällig, wie durch Hitze ermattet erscheinen. Rumpelig-schunkelnd geht es dagegen beim Folk-Rock von „Let’s Go Rain“ zu. Der akustische Space-Folk „From Far Away“ bedient sowohl traditionelle Musikformen wie auch phantasievolle Anreicherungen. Eine ähnliche Vision haben The Byrds auf „The Notorious Byrd Brothers“ (aufgenommen 1967) mit ihrem Weltraum-Cowboy-Sound verfolgt.
Der romantische Aspekt von „I Know What It’s Like“ wird durchgängig von dem agilen Schlagzeug überlagert und „Having Been Is No Way To Be“ lässt sich treiben, hat keinen ausgeprägten Refrain, sondern setzt voll und ganz auf den souveränen Ausdruck des Gesangs. Psychedelisches Schwirren, wie von rückwärts laufenden Tonbändern begleitet „The Red Brick“. Das Stück klingt wie eine hypnotische Mixtur aus Westcoast- und Kraut-Rock. Zurückhaltend, beinahe schüchtern schleicht sich „Warm (When The Sun Has Died)“ in die Gehörgänge. Das monotone „How Will I Find You“ wirkt dann zunächst desillusioniert und verloren, gewinnt aber durch die allmählich präsenter werdenden Drums an Rückhalt und Stärke.
Wilco liegt veröffentlichungstechnisch grade auf Eis. Deshalb nutzte Jeff Tweedy den Freiraum nicht nur für neue eigene Musik, sondern auch dafür, um seine Memoiren zu verfassen, die grade unter dem Namen „So We Can Get Back“ in die Läden kamen. Hier erzählt der Musiker, der schon mit den 1987 gegründeten Uncle Tupelo die Americana-Bewegung maßgeblich beeinflusste, dass die Songs auf „Warm“ zu den persönlichsten und direktesten Liedern gehören, die er je verfasst hat. Auf klassischer LP-Länge (39 Minuten) geht Tweedy zurück zu seinen Wurzeln und huldigt seinen Songwriter-Vorbildern. Dabei lässt er zu keiner Sekunde seine eigenen kompositorischen Fähigkeiten vermissen, so dass die Songs auch jederzeit im Wilco-Bandgefüge umgesetzt werden könnten. Jeff Tweedy ist längst zu einer verlässlichen Größe gereift und unterstreicht mit „Warm“ einmal mehr seine Extraklasse.
Als Hörprobe gibt`s I Know What It`s Like:

Erstveröffentlichung dieser RezensionJeff Tweedy - Warm

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