Sendecki & Spiegel - Two In The Mirror (2019)

Die Zusammenarbeit von Sendecki & Spiegel für "Two In The Mirror" erweist sich für beide Musiker als Gewinn.
Vladyslav Sendecki wird hoch gelobt. Die renommierte New Yorker Wochenzeitung „The Village Voice“ bezeichnete ihn als einen der fünf besten Jazzpianisten der letzten 100 Jahre. Neben Keith Jarrett, Chick Corea, Herbie Hancock und Duke Ellington. Wenn das keine Auszeichnung ist. Sein musikalischer Partner, der Schlagzeuger Jürgen Spiegel, ist nicht weniger talentiert und gehört seit über fünfzehn Jahren als Taktgeber und Klangmaler zum Tingvall Trio, das sich einen ausgezeichneten internationalen Ruf erarbeitet hat.
Die beiden Musiker leben in Hamburg und haben sich zu einem Duo zusammengetan, welches die zarte Seite der Musik genauso schätzt und abbildet wie die quirlig, aufgestachelte Variante. „Ich bin eigentlich innerlich auch Schlagzeuger“ verkündet der Pianist. Das Besondere an dieser Zusammensetzung ist die schnelle Reaktionszeit, die es ermöglicht, Klangfarben zügig zu wechseln, meint hingegen der Schlagzeuger und Percussion-Spieler. Um den Titel des gemeinsamen Werkes ranken sich Wortspiele: „Two In The Mirror“ könnte bedeuten, dass aus zwei Personen, die in einen Spiegel schauen, optisch vier werden. Was darauf aufmerksam macht, dass trotz der kargen Besetzung ein voller, orchestraler Sound erzeugt werden soll. Außerdem kann der Album-Name auch darauf Bezug nehmen, dass die Beiden zu einer Einheit verschmelzen wollen.
„Meanwhile In Heaven“ ist primär ein feingliedriges, betont sanftes Stück mit Luft zum Atmen zwischen den Noten, das aber auch energisch auftrumpfen kann. Die Akteure ergänzen sich prächtig, indem sie aufeinander eingehen und sich gegenseitig unterstützen. Jeder ist bestrebt, den anderen im Verbund gut und effektvoll klingen zu lassen. 
„Wroooong“ schlägt anschließend Alarm und mobilisiert Kräfte, die den Track ständig mobil halten und für einen forschen Auftritt sorgen.
Das sanft beginnende, versunken ablaufende „A New Day“ bekommt ständig mehr Druck auf den Kessel. Die Klavieranschläge werden härter und die Akkorde tanzen durcheinander, so dass teilweise der Eindruck entsteht, es wären zwei Pianisten am Werk. Spiegel begleitet diesen Reigen zweckdienlich, er schiebt seine Aktionen quasi zwischen den Tasten-Parts hindurch.
Das Stück „Two In The Mirror“ beginnt furios. Das Duo peitscht sich gegenseitig voran, hält kurz inne und setzt danach das rasante Rennen fort. „Come Home“ sorgt für eine klare Atmosphäre, ist zart, manchmal verspielt und melodisch zerfasert. Die Aufnahme passt eigentlich auch ins Konzept des hauptsächlich durch sphärischen Jazz bekannt gewordenen ECM-Label von Manfred Eicher aus München. Monotone und perlende Tastenklänge stehen für „Lucky But Unhappy“ in Konkurrenz zueinander. Das Schlagzeugspiel gibt sich zunächst cool und abwartend, gewinnt aber nach und nach gewichtige Soundanteile dazu.
Die 40-Millionen-Metropole erwacht: „Good Morning Tokyo“ läuft sowohl schläfrig-übermüdet wie auch unruhig ab. Dennoch geschehen diese Abläufe diszipliniert. Somit wird quasi ein klischeehaftes akustisches Spiegelbild der japanischen Großstadt abgegeben. 
Unsicher suchend breiten sich die Klaviertöne bei „The Wanderer“ aus, bis der Himmel aufreißt, die Wolken vertrieben werden und gradlinige, wegweisende Pop-Harmonien die Sonne scheinen lassen. Das mündet in einen ausgedehnten, kammermusikalischen Teil, der schließlich wieder in den Pop-Wohlklang zurück führt.
„Die Brücke“ flößt Respekt ein, wirkt mächtig und auch bedrohlich. Stoische Piano-Akkorde vermitteln die Dehnung von Zeit und Raum, so dass der Titel länger als die tatsächlichen viereinhalb Minuten erscheint. „Elegy“ macht seinem Namen Ehre, denn die Komposition wirkt nachdenklich, kann sogar als wehmütig empfunden werden, versinkt aber nicht gänzlich in Schwermut. „Phantasia In A Flat“ pendelt zwischen gezügelten, zugänglichen sowie freien, improvisierten Tönen. Das Tempo ist dabei mal langsam-beruhigend, dann zügig-unruhig und auch unberechenbar-uneinheitlich.
Ein gewisser Hang zu romantischer Klassik und zu rhythmischen Extravaganzen macht sich bei den Jazz-Schöpfungen breit. Es gibt allerdings keine langen Improvisations-Eskapaden, dafür ein respektvolles, achtsames, kreatives Zusammenspiel mit interessanten Ton-Bögen und ausschweifenden, wie auch schönen Melodien. Die Musik erschließt ein Spektrum, das nicht nur für Jazz-Hörer attraktiv ist, sondern ein breites Publikum ansprechen kann. Denn plötzlich passen Dinge zusammen, die sich nur selten vereinbaren lassen: Die Musik ist nämlich anspruchsvoll, dabei aber nicht anstrengend. Das Ergebnis kann als ausgewogen bezeichnet werden, denn sowohl gefühlvolle Abschnitte wie auch enthemmte Exkursionen werden nicht übertrieben ausgedehnt. Sendecki & Spiegel führen deshalb eindrucksvoll aus der Sackgasse heraus, in der sich manch andere akademisch-intellektuelle Jazz-Musiker befinden, bei denen das zur Schau stellen von Instrumentenbeherrschung und nicht die Eroberung der Vorstellungskraft oberste Priorität hat.
Erstveröffentlichung dieser Rezension: Sendecki & Spiegel - Two In The Mirror

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