Lambchop - This (Is What I Wanted To Tell You) (2019)

Kurt Wagner stellt seine Stil-Fusionen für Lambchop nach „FLOTUS“ von 2016 mit "This (Is What I Wanted To Tell You)" weiter auf experimentelle Füße.

Folk, Country, Soul, elektronische Spielereien: Alle diese Zutaten bindet Kurt Wagner für seine 1993 in Nashville gegründete Formation Lambchop nacheinander oder parallel in seine Kompositionen ein. Haben die eingefleischten Fans den Schwenk vom Americana zum Soul noch nachvollziehen können, so waren die Electronics und die verfremdete Stimme, die 2016 bei FLOTUS den Sound beeinflussten, schon gewöhnungsbedürftiger.
Die Idee zu „This (Is What I Wanted To Tell You)“ entstand 2017, als Wagner am Geburtstag seines Freundes Mac McCaughan mit dessen jüngerem Bruder Matthew, der bereits als Schlagzeuger für Bon Iver sowie Hiss Golden Messenger tätig war, ins Gespräch kam. Die beiden Sound-Tüftler kannten sich zwar schon eine ganze Weile, beschlossen aber erst jetzt, an gemeinsamen Songs zu arbeiten. Kurt verfasste zunächst neue Ideen und Matt lieferte dazu als Anregung Synthesizer-Musik. Nachdem die Richtung klar war, begab man sich zusammen mit Tony Crow (Piano) und Matt Swanson (Bass) von Januar bis Juli 2018 ins Battletapes-Studio in Nashville. Unterstützung gab es dabei noch von Spencer Cullum (Pedal Steel-Gitarre), einem Bläser-Trio, Verstärkung an der Gitarre, am Synthesizer und bei der Realisierung von gesampelten Stimmen. Außerdem konnte der legendäre Charlie McCoy an der Mundharmonika als Gast gewonnen werden, der schon für Elvis Presley, Johnny Cash oder Bob Dylan gespielt hatte.
Die Vocoder-Stimme bei „The New Isn't So You Anymore“ vermittelt zunächst den Eindruck, es würde sich hier um ein neues Stück von James Blake handeln. Nach und nach schälen sich dann jedoch Einzelheiten heraus, die auf die Eigenarten und typischen Bestandteile der Musik von Lambchop hindeuten: Introvertierte Melodiebögen, rhythmische Kontrapunkte und melancholischer Gesang. Stilistisch werden hier Einflüsse des Philly-Soul, aus dem Bereich der Jazz-Ballade und des Country & Western zusammen- und untergebracht. Der verfremdete Gesang bleibt uns auf der Platte über weite Strecken erhalten und ist auch beim mehrschichtigen, zwischen Melancholie und Stimulation torkelnden „Crosswords, Or What This Says About You“ ein auffälliger Begleiter. Das wirft allerdings die Frage auf, ob dieser eigen- und fremdartige Effekt nicht überstrapaziert wird.
Der Funk von „Everything For You“ ist anfangs durchdringend, muskulös sowie satt brummend und bekommt im Verlauf eine liebliche Melodie verordnet. Es ist erstaunlich und ungewöhnlich, dass solch unterschiedliche Bestandteile so stimmig miteinander verbunden werden können.
Wie einige Stücke auf „This (Is What I Wanted To Tell You)“ führt auch „The Lasting Last Of You“ in die Irre, verwirrt die Sinne, spielt mit Erwartungen und erfüllt diese nicht, sondern deckt stattdessen neue Möglichkeiten auf. Der Track gibt sich zunächst mysteriös und zurückhaltend, wird dann ernst und ergreifend, um schließlich zwischendurch mit schnellen Takten für eine Auffrischung der Stimmung zu sorgen. Was letztlich aber nicht zu einer Umkehr der getragenen Atmosphäre führt.
Mit über siebeneinhalb Minuten Laufzeit ist „The Air Is Heavy And I Should Be Listening To You“ das längste Stück auf dem Album. Kurt und Matt nutzen die Laufzeit, um sich ausgiebig im Art-Pop und Jazz zu suhlen. Diese Ideen werden sowohl ruhig abwartend wie auch rhythmisch aktiv umgesetzt. Das hinterlässt den Eindruck, als würde sich der Song suchend um seine eigene Achse drehen, ohne ein vorgegebenes Ziel zu verfolgen. Das vielleicht schönste Lied auf diesem neuen Werk ist „The December-ish You“. Hier hält sich zum Einen die Verfremdung der Stimme in Grenzen, zum Anderen handelt es sich um eine so raffinierte, künstlerisch wertvolle Country-Neudeutung, wie sie in dieser außergewöhnlich feinen Qualität ansonsten höchstens noch von Bill Callahan zu erwarten gewesen wäre. Psychedelische Effekte. in die Weite schauende, suchende, intime Tongebilde und zu Herzen gehende Passagen bilden in dieser Zusammenstellung eine vortrefflich berauschende Allianz.
Der neugierige, spielerisch-experimentelle Umgang mit Jazz und Pop lässt bei „This Is What I Wanted To Tell You“ auf eine ebenso freie Sichtweise schließen, wie sie auch z.B. David Sylvian, der reife Scott Walker oder Mark Hollis an den Tag legen. Die Stimme tritt unbearbeitet in den Ton-Reigen ein, die Blasinstrumente sorgen für flackernde oder sensible Signale, das Piano verbreitet dunkle Romantik und die Melodik zerfällt zu Gunsten von surrealen Klanggebilden. „Flower“ bringt quasi die klassischen Lambchop-Tugenden zutage. Das Country-Folk-Gerüst transportiert eine Form der Tristesse, wie sie in ähnlicher Form auch von den Tindersticks verwendet wird. Todernst, aber im Grunde tröstend und aufbauend.
Die Songs hinterlassen durch die direkte Ansprache im Titel den Eindruck einer persönlichen Zwiesprache. Diese Vertrautheit wird allerdings durch die als kühl empfundene Stimmenveränderung wieder aufgehoben. Dadurch beraubt sich Kurt Wagner der Möglichkeit, ausgeprägte Warmherzigkeit durch den Gesang einfließen zu lassen. Auch wenn das Befremden auslösen kann, bleiben noch die verschachtelt-intelligenten Sounds, die für die Stimulierung von positiven Reizen und damit für eine erhöhte Attraktivität sorgen.
Das gewählte Vorgehen scheint nicht immer der treffsicherste Weg zu sein, um eine größtmögliche emotionale Wirkung zu erzeugen. Denn Kurt Wagners vollmundige, weise erscheinende Stimme war schon immer in natürlichem Zustand eine der größten Stärken sowie Dreh- und Angelpunkt bei der musikalischen Gestaltung und Umsetzung der Lambchop-Musik. Deshalb entsteht der Eindruck, dass eine Reduktion der Gesangsmanipulationen ein mehr an Intensität bedeutet hätte, wodurch die Raffinesse der Kompositionen noch deutlicher in den Vordergrund getreten wären.
Erstveröffentlichung dieser RezensionLambchop - This (Is What I Wanted To Tell You

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