Lost & Found-Portrait: Fiona Apple – Wenn Pop zu Kunst wird und Musik ein Spiegelbild der Seele ist.
Aus großen Gefühlen kann erhabene
Kunst entstehen. Prägende Erlebnisse weisen den Lebensweg und können, wenn sie
negativ sind und unverarbeitet bleiben, quälend, aber auch inspirierend sein. Inspiration
verbunden mit einer gehörigen Portion Sensibilität und vor allem Talent sind
bei Fiona Apple in hohem Maße vorhanden. Hinzu kommt eine attraktive
Erscheinung, die im Musik-Business immer ein Vorteil ist. Diese Karte braucht
Fiona allerdings gar nicht zu ziehen, denn sie überzeugt durch Eigenwilligkeit
und Kreativität. Vielleicht ist sie deshalb nie in die erste Reihe der Stars
aufgestiegen und vielleicht ist das auch ihr und unser Glück.
Es würde Fiona Apple gar nicht gefallen, dass ihre äußerlichen Attribute zur Sprache kommen, denn sie ist eine ernsthafte Musikerin, die sich kritisch mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinandersetzt. Sie wurde einem größeren Publikum jedoch durch das laszive Video für „Criminal“ bekannt, das 1997 den MTV Music Award gewann. Bei der Verleihung beklagte sich die damals erst 19jährige öffentlich über den scheinheiligen Unterhaltungsapparat („Diese Welt ist ein Stück Scheiße“). Die Künstlerin hatte den Eindruck, dass sie den Preis nur aufgrund der sexuell aufgeladenen Bilder bekam und nicht wegen ihrer Musik. Kaum jemand erkannte die Angst und Hilflosigkeit im Musik-Video. Aber wenn die Hintergründe dieser Darstellung klar werden, wirken die Aufnahmen eher verstörend als aufreizend. Das Mädchen wurde nämlich als Kind vergewaltigt und für sie war das Schreiben von Liedern zunächst Therapie, um überhaupt mit dem Erlebten klar zu kommen. Seitdem hat sie viel Zeit mit Psychotherapie verbracht. Depressionen holen sie trotzdem ständig wieder ein und Ess- und Schlafstörungen machen ihr das Leben schwer. Aber sie stemmt sich mit Mut und Entschlossenheit gegen ihr Schicksal. Die New Yorkerin wurde am 13. September 1977 als Fiona Apple McAfee-Maggart geboren. Die Eltern hatten sich schon getrennt, als das Mädchen vier Jahre alt war. Der Vater war der Schauspieler Brandon Maggart und die Mutter die Tänzerin und Sängerin Diane McAfee. Ideale und typische genetische Voraussetzungen also, um selber eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Aber zunächst sah es nicht danach aus, denn Fiona war ein sensibles und verstörtes Kind, das ungewöhnlich heftige Gefühlsausbrüche zeigte. Mit 11 Jahren drohte sie sogar an, sich und ihre Schwester umzubringen. Die Hinwendung zur Musik begann mit Klavierstunden, als sie acht war. Mit zwölf, als Reaktion auf die Vergewaltigung, begann das Talent damit, Songs zu schreiben. Als sie 1995 ihren Vater besuchte, ließ sie ein Demo-Tape bei ihm, das über Beziehungen bei Sony Music landete und dadurch kam ein Plattenvertrag zustande.
Es würde Fiona Apple gar nicht gefallen, dass ihre äußerlichen Attribute zur Sprache kommen, denn sie ist eine ernsthafte Musikerin, die sich kritisch mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinandersetzt. Sie wurde einem größeren Publikum jedoch durch das laszive Video für „Criminal“ bekannt, das 1997 den MTV Music Award gewann. Bei der Verleihung beklagte sich die damals erst 19jährige öffentlich über den scheinheiligen Unterhaltungsapparat („Diese Welt ist ein Stück Scheiße“). Die Künstlerin hatte den Eindruck, dass sie den Preis nur aufgrund der sexuell aufgeladenen Bilder bekam und nicht wegen ihrer Musik. Kaum jemand erkannte die Angst und Hilflosigkeit im Musik-Video. Aber wenn die Hintergründe dieser Darstellung klar werden, wirken die Aufnahmen eher verstörend als aufreizend. Das Mädchen wurde nämlich als Kind vergewaltigt und für sie war das Schreiben von Liedern zunächst Therapie, um überhaupt mit dem Erlebten klar zu kommen. Seitdem hat sie viel Zeit mit Psychotherapie verbracht. Depressionen holen sie trotzdem ständig wieder ein und Ess- und Schlafstörungen machen ihr das Leben schwer. Aber sie stemmt sich mit Mut und Entschlossenheit gegen ihr Schicksal. Die New Yorkerin wurde am 13. September 1977 als Fiona Apple McAfee-Maggart geboren. Die Eltern hatten sich schon getrennt, als das Mädchen vier Jahre alt war. Der Vater war der Schauspieler Brandon Maggart und die Mutter die Tänzerin und Sängerin Diane McAfee. Ideale und typische genetische Voraussetzungen also, um selber eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Aber zunächst sah es nicht danach aus, denn Fiona war ein sensibles und verstörtes Kind, das ungewöhnlich heftige Gefühlsausbrüche zeigte. Mit 11 Jahren drohte sie sogar an, sich und ihre Schwester umzubringen. Die Hinwendung zur Musik begann mit Klavierstunden, als sie acht war. Mit zwölf, als Reaktion auf die Vergewaltigung, begann das Talent damit, Songs zu schreiben. Als sie 1995 ihren Vater besuchte, ließ sie ein Demo-Tape bei ihm, das über Beziehungen bei Sony Music landete und dadurch kam ein Plattenvertrag zustande.
Schon 1996
erschien dann das Debüt „Tidal“. Gleich
beim Opener „Sleep To Dream“ sorgt die Musikerin dafür, dass sie als
selbstbewusste Frau wahrgenommen wird. Ihre Musik ist einnehmend, aber nicht
aufdringlich. Man fühlt sich sofort anspruchsvoll bedient. Der Pop wirkt
erwachsen, fernab von Teeny-Schmus und banalen Beziehungsanimositäten. Allein
die ausgewählten Musiker sprechen eine deutliche Sprache: Jon Brion (u.a.
Produzent von Aimee Mann), Schlagzeuger Matt Chamberlain, der allgegenwärtige
Saiten-Zauberer Greg Leisz, Keyboarder Patrick Warren und sogar die Legende Van
Dyke Parks unterstützen auf höchstem Niveau. Feinfühlig, gezielt und kreativ. Fionas
Weltsicht ist überlegt, eher dunkel angelegt, aber ohne übertriebenen Pathos
und Weltschmerz. Sie führt gewissermaßen den gut strukturierten Folk-Rock von
Carole King mit anderen Mitteln fort. Ihre Songs haben kompositorische Reife,
werden selbstbewusst aufgeführt, beschäftigen sich mit persönlichen sowie allgemeingültigen
Themen und strahlen Kraft und Individualität aus. Die Musikerin ist streitbar,
auf der anderen Seite aber auch verletzlich und einfühlsam. Die seelischen
Wunden, die sie davongetragen hat, bringt sie dazu, Durchsetzungsvermögen zur
Schau zu stellen, um sich zu schützen. Ihre Erfahrungen, die musikalischen
Visionen und der Spieltrieb, der sich anhand von Arrangement-Experimenten
äußert, sorgen in Kombination für ein Hörerlebnis, das über weite Strecken
keine eindeutigen Vergleiche zulässt. Auch wenn immer wieder von Ähnlichkeiten
zu Tori Amos oder PJ Harvey die Rede ist.
„Tidal“ hat allerdings noch viel mehr zu
bieten: Drängelnd und ungeduldig macht sich Fiona bei „Sleep To Dream“ Luft.
Getragen von einem Break-Beat, einem perlenden, im Hintergrund agierenden Piano
und allerlei atmosphärischem Füllstoff bewegt sich der Song leicht unrund, aber
dennoch zielstrebig voran. Die Ballade „Sullen Girl“ ist reifer Pop der
delikaten Sorte. Das Piano ist- wie so häufig - das führende Instrument. Die
Dominanz wird aber durch das Auftauchen von anderen Instrumenten wie
Steel-Guitar oder Vibraphon gebrochen. Die Stimmung ist nachdenklich, aber der
Schmerz führt nicht in die Depression. Die Piano-Ballade „Shadowboxer“ swingt
und hat eine unsentimentale Streicher-Begleitung. Vibraphon- und
Mellotron-Tropfen spielen Yin & Yang. Die New Yorkerin singt energisch und
unbeeindruckt von dem Geschwirre um sie herum.
Der leicht hüpfende, ungelenke,
weltmusikalisch angehauchte Rhythmus von „Criminal“ zeigt auch beschwingt
poppige Motive. Das hilft dabei, diesen Mid-Tempo-Song anregend und
temperamentvoll über die Runden zu bringen.
„Slow Like Honey“ ist ein ruhig
ablaufender, jazziger Art Pop mit Vibraphon-Beiträgen, die an Tim Buckleys
„Lorca“ denken lässt. Das Tempo wird verschleppt und der Gesang scheint gedehnt
und entrückt zu sein. Das hat nicht den exzessiven Charakter der
Buckley-Aufnahmen, ist aber ähnlich intensiv. Aus dem zunächst intimen „The
First Taste“ wird eine polyrhythmische Latin-Nummer, die auch afrikanische
Elemente transportiert. Die Lebendigkeit des Taktes steht in Konkurrenz zum
relativ introvertierten Gesang. Mit geschmackvollen Streicher-Arrangements des
großen Van Dyke Parks wartet „Never Is A Promise“ auf. Das Piano stolpert
unruhig voran, der Gesang bewegt sich stellenweise auch in hohen Regionen und
erinnert dann an Joni Mitchell.
West-Coast-Country-Folk trifft bei „The Child
Is Gone“ auf Bar-Jazz. Diese Verbindung schweißen synthetische
Streichinstrumente zusammen. Das ist sowohl harmonisch reich wie auch
strukturell anspruchsvoll. Herbstliche Kühle legt sich über „Pale September“.
Der Gesang hat leitende wie auch füllende Aspekte. Die Melodie ist frei
schwebend, Schlaginstrumente werden nur getupft und sehr sparsam eingesetzt. „Carrion“
hat eine jazzige Basis. Folk-Rock, Mellotron-Schwaden und Kirmes-Geläut
vereinigen sich zu einem taumelnden Strudel von verführerischen Tönen. „Tidal“
ist ein bemerkenswert eigenständiges Debüt. Solch eine luftige und
gleichzeitig auch kunstvoll-versierte Instrumenten-Kombination wie hier gibt es
nur selten zu hören.
Bis zu einem
Nachfolger vergehen 3 Jahre. Der Titel der Platte besteht aus einem 90 Worte
langen Namen, der auf Druck der Plattenfirma auf „When The Pawn…“ verkürzt wird. Der Opener „On The Bound“ ist
anfangs leicht störrisch wie „Sleep To Dream“, der Eingangstrack von „Tidal“.
Gereizt, nicht zugänglich und mit Abwehrhaltung kommt der Gesang rüber.
Sympathie wird nach Einsatz der Streicher-ähnlichen Keyboard-Nebel und des kurz
aufblitzenden Vibraphons ansatzweise aufgebaut, kann sich aber nicht behaupten.
Die Komponistin zeigt sich kratzbürstig, auch wenn die Instrumente um Harmonie
buhlen. Gleichzeitig gibt es Störfeuer von den Keyboards. „To Your Love“ lenkt
etwas ein, obwohl die Sängerin auf Distanz bleibt und sich nicht in die Karten
schauen lässt. Das Schlagzeug treibt mit einem strammen Rhythmus die
angespannte Stimmung voran und bläserartige Tonkaskaden bilden eine Geräusche-Wand.
„Limp“ ist
zu nervös-hektisch, um wirklich als Ballade durchzugehen. Obwohl es immer
wieder ruhigere Passagen gibt, siegt das provokant-unruhige Element.
„Love
Ridden“ wurde grundsätzlich intim und in sich gekehrt angelegt. Wobei sich Fionas
Gesang immer wieder streng durchsetzt, sich also nicht den sentimentalen
Gefühlen voll hingibt. „Paper Bag“ und „The Way Things Are“ sind intelligent
aufgebaut sowie melodieverliebt und werden stellenweise dramatisch-streitbar
vorgetragen. Mit „A Mistake“ ist ein psychedelisches Pop-Stück gelungen, das
hinsichtlich der Wendungen und verwinkelten Arrangements auch von den
britischen, psychedelischen Art-Poppern XTC stammen könnte. „Fast As You Can“
agiert anfangs nervös und ungeduldig. Nach 1 Minute und 25 Sekunden kehrt Ruhe
und Gelassenheit ein. Pfeifende Orgeltöne beruhigen die Anspannung, aber nach 2
Minuten und 30 Sekunden ist es damit wieder vorbei.
Mit „Get Gone“ wird ein
Lied, das verhalten beginnt und sich dann kämpferisch gibt, eingeschoben. „I
Know“ ist ein gelöstes Stück mit einem leichten Jazz-Touch, welches melodisch
ähnlich strukturiert ist wie „Perfect Day“ von Lou Reed. „When The Pawn…“ bestätigt die Klasse von „Tidal“ und
festigt Fionas Ruf als außergewöhnliche, spezielle Interpretin. Die
Veränderungen zu „Tidal“ sind moderat und eher im strengeren, verärgerten,
aufmüpfigen Gesang als bei der Art und Weise der Kompositions-Technik zu
suchen.
Die Songs
für Album Nummer drei, mit dem Titel „Extraordinary
Machine“, wurden Sony Music nach einer Pause von vier Jahren bereits 2003
vorgestellt. Produziert hatte wieder Fionas enger Freund Jon Brion. Die
Plattenfirma lehnte den Entwurf aber wegen angeblicher Unverkäuflichkeit ab. Es
ist nicht geklärt, ob die Aufnahmen gewollt oder unfreiwillig ins weltweite
Netz gelangten. Sie erfreuten sich dort jedenfalls großer Beliebtheit. Sony beschloss
daraufhin, doch noch der Veröffentlichung zuzustimmen, ließ die Ideen aber bis
auf zwei Ausnahmen von Produzent Mike Elizondo (Eminem, Gwen Stefani) und
Co-Produzent Brian Kehew von The Moog Cookbook vollständig überarbeiten. An dem
mächtigen Nachhall der Musik hat sich dadurch grundsätzlich nicht viel
geändert. Zur Abgrenzung gegenüber dem Original wurde noch allerlei Percussion
zugefügt, die unter anderem vom The Roots Mitglied Questlove eingespielt wurde.
„Extraordinary Machine“ offenbart eine neue Seite, nämlich eine vermehrte
Hinwendung zum Cabaret- und Kunst-Lied. So ist der Song „Extraordinary Machine“
musikalisch zwischen „Peter und der Wolf“ und Broadway-Musical angesiedelt und
wird stellenweise mit jubilierendem Gesang aufgefüllt. „Get Him Back“ zeigt sich
textlich und musikalisch angriffslustig und zuversichtlich. Außerdem auch
unnachgiebig und drängend-monoton.
Fiona liebt
beim Piano die straffen, deutlichen Anschläge, so dass das Instrument oft wie eine
Waffe oder Schutzschild eingesetzt wird. Bei „O`Sailor“ klingen die Akkorde wie
knapp neben der Spur, was Aufhorchen lässt. „Better Version Of Me“ wird als
Fake-Jazz aufgebaut und „Tymps (The Sick In The Head Song)“ zitiert diverse
Stile, ohne sich festzulegen. Funk, Jazz, Progressive-Rock, HipHop und
Singer-Songwriter-Folk kommen vor. Nur Piano und Gesang schmücken dann „Parting
Gift“ und Miss Apple wirkt trotzdem in keiner Sekunde ausgeliefert,
melancholisch, introvertiert oder schüchtern. Weltmusik scheint bei „Window“
durch einen angedeuteten Reggae-Rhythmus aus den Noten. Das ist aber wieder nur ein Teil der
Wahrnehmung. Brass-Rock, Jazz-Schübe und jede Menge Persönlichkeit prägen außerdem
dieses Stück.
Enttäuscht
und verletzt besingt die Pianistin in „Oh Well“ ihre Beziehungserfahrungen und
biegt musikalisch in (Zweck)-Optimismus ab. Dabei wird eine Stimmung aufgebaut,
die Zuversicht und Geborgenheit verheißt. Fiona Apple ist eine Meisterin im
flüchtigen Zitieren. Vielleicht ist die draufgängerische Art, die den Gesang
des Songtitels „Please Please Please“ unterfüttert, von Love`s „Bummer In The
Summer“ abgeleitet und die jaulenden Theremin-Passagen sind aus einem
50er-Jahre Science-Fiction-Film entliehen. Im Hintergrund von „Red Red Red“ wird
eine wolkenverhangene Stimmung ausgebreitet und ärgerlicher, mit Verzweiflung
untersetzter Gesang arbeitet gegen diese Eindrücke an. Die Stimme lässt immer
wieder trotzigen Optimismus durchschauen. Walzer- und Hard-Rock-Themen werden
genauso wie Piano-Jazz-Figuren und Indie-Rock-Schräglage genutzt, um bei „Not
About Love“ zu provozieren und Grenzen zu negieren. Fiona bleibt souverän. Sie
hält die Fäden zusammen, so dass das Produkt nicht verkrampft wirkt.
Der abschließende
„Waltz (Better Than Fine)“ ist nicht romantisch verklärt, sondern wird bewusst
schludrig-schlampig und unkonventionell dargeboten. Dieser Walzer gehört
dadurch eher auf die Kirmes als in den Ballsaal.
„Extraordinary Machine“ hat für die Künstlerin in etwa den
gleichen Stellenwert wie „Smile“ für Brian Wilson, weil die ursprünglichen
Ideen zunächst nicht offiziell veröffentlicht wurden. Und auch künstlerisch
bietet das Werk merkwürdig und abenteuerlich arrangierte Kompositionen, die unter
Jon Brion in der ersten Fassung noch symphonischer, epischer, verwegener und
halsbrecherischer angelegt waren.
Nach den
negativen Erfahrungen mit der Musik-Branche zieht sich die enttäuschte Frau ins
Private zurück und äußert sich musikalisch erst wieder 2012 nach der
gescheiterten Beziehung zum Autor Jonathan Ames, dem sie einen Song widmet.
Heraus kommt ein Werk mit dem Bandwurm-Titel „The Idler Wheel Is Wiser Than The Driver Of The Screw And Whipping
Cords Will Serve You More Than Ropes Will Ever Do“: „Every Single Night“
fängt wie das Klimpern einer Spieluhr an. Es wird wortreicher Gesang beigesteuert,
der abwechselnd trotzig, verletzt, unsicher und herausfordernd ausgerichtet
ist. Zusätzlich gibt es Einschübe, die wie provozierender, pöbelnder Fan-Gesang
klingen.
„Daredevil“ ist aufregend wie ein Schauspiel, rhythmusbetont wie
Weltmusik, verdreht wie Avantgarde und provokant-aufrührerisch wie politisches
Kabarett. „Valentine“ hört sich wie eine aufdringliche Ballade an, die erst
gegen Ende ihr ganzes psychopathisches Potential offenbart. Jazzig-vertrackte
Piano-Akkorde werden bei „Jonathan“ vor einem im Hintergrund wütenden,
polternden, maschinenartig-experimentellen Takt aufgebaut. „Left Alone“ hat
ein Trommel-Solo als Einleitung. Danach übernimmt ein hektisch gespieltes Piano
und ein flippiges Schlagzeug unterstützt den gehetzten Eindruck, der im Verlauf
auch Ruhepausen verordnet bekommt. Fiona fällt ins Falsett und ähnelt hier Kate
Bush oder auch Tori Amos. Jetzt ist sie endgültig im Umfeld der
avantgardistischen und experimentierfreudigen Songwriter angekommen.
Harmonischer,
Beatles-Pop bietet „Werewolf“, das durch raffinierte Stereo-Effekte
angereichert wird. Bei „Periphery“ bestimmt der Jazz die lebhaft-pulsierende,
unorthodoxe, bewegliche Grundstimmung. Rhythmisch passiert enorm viel.
Percussion-Zutaten werden in allerlei Formen und Farben beigemischt. Der
Pop-Geschmack geht dabei aber nicht verloren und wird auch nicht verwässert,
sondern eher herausgestellt. Die Ballade „Regret“ ist eckig und kunstvoll.
Fionas Persönlichkeit hält sie jedoch in der Waage zwischen Anspruch und
Unterhaltung. Deshalb wird das Lied trotz des teilweise ausschweifend derben
Gesanges nicht anstrengend, sondern höchstens unbequem. Percussion, die klingt,
als würden die Töne auf Flaschen erzeugt werden, begleiten den im Grunde
genommen als Roots-Rock konzipierten Track „Anything We Want“. „Hot Knife“ ist
Avantgarde-Pop. Eine zu jeder Schandtat bereite Stimme, ergänzt durch den hohen
Gesang von Fionas Schwester Maude, sowie Trommeln und etwas Piano reichen als
Zutaten für dieses quirlig-durchgedrehte Kanon-ähnliche Stück. Die Präsenz, die
Worte und die leicht aggressive Stimmung sind dann bei „Largo“ wichtiger als
die strenge Einhaltung einer nachvollziehbaren Melodie.
Fiona sucht
den Zugang zum Art-Pop, baut ihn weiter aus und findet eine nahtlose Einbindung,
indem sie sich einfach erlaubt, über die Stränge zu schlagen, Konventionen zu
verleugnen, Mixturen zuzulassen und generell freigeistig tätig zu sein. Nach „The Idler Wheel…“ gab es wieder eine lange
Sendepause. 2016 hat Miss Apple mit Andrew Bird für dessen Album „Are
You Serious“ ein Duett mit Namen „Left Handed Kisses“ eingespielt,
das von der Unfähigkeit, Liebeslieder zu schreiben handelt und die Sängerin als
völlig genervten Partner zeigen soll. 2017 nahm sie zusammen mit dem Produzenten Michael Whalen das Protest-Lied „Little Hands“ auf, das sich auf die frauenfeindlichen Aussagen von Donald Trump bezieht. Diese Lebenszeichen lässt hoffen, dass
es bald wieder neues Material der großartigen Musikerin zu hören geben wird.
Attraktive
Menschen sollen es angeblich einfacher im Leben haben. Dann könnte Fiona Apple
eigentlich ein Superstar sein. Ist sie aber nicht, dafür aber eine authentische,
integere Künstlerin, die den Kampf gegen ihre Dämonen künstlerisch nutzt, um besondere,
ehrliche Musik zu produzieren. Obwohl der Wirbel um die Veröffentlichung der
Ursprungsversion von „Extraordinary Machine“ mysteriös bleibt, ist Fiona eine
Künstlerin, die schonungslos Wahrheiten ausspricht und emotional tief berührt,
indem sie stimmlich die ganze Palette von schüchternem Flüstern bis wütendem
Schreien abdeckt. Musikalisch hat der Quentin Tarantino-Fan eine Nische
gefunden, die den Art-Pop sowohl als intime Piano-Ballade wie auch als
üppig-symphonische Tonkunst erlebnisreich schillern lässt. Musik ist die
schönste Nebensache der Welt, wenn sie dann auch noch eine angeknackste Seele
retten kann und solch anregende Klänge zustande kommen, wird sie doppelt
wertvoll.
Erstveröffentlichung dieses Artikels: Fanzine ROADTRACKS #48
Erstveröffentlichung dieses Artikels: Fanzine ROADTRACKS #48
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