Lost & Found-Portrait: Quicksilver Messenger Service - Einblicke in psychedelische Wunderwelten.

Der „Summer of Love" im Jahr 1967 ist in den Medien immer wieder ein Thema. Reportagen von z.B. dem Monterey Pop-Festival bringen den damaligen Zeitgeist von Aufbruch, freier Liebe, Drogenexperimenten und politischem Aufruhr ins Wohnzimmer. 
Als musikalische Leitbilder der psychedelischen Rockmusik, jener provokanten, abenteuerlichen - in ihren besten Momenten nahezu magischen Musik der damaligen Hippie-Ära von San Francisco - werden in der Regel Grateful Dead, Jefferson Airplane und Janis Joplin zitiert. Vergessen werden dabei meistens solch prägende Bands wie Arthur Lee`s Love, Moby Grape oder eben Quicksilver Messenger Service. 


Quicksilver Messenger Service waren der Prototyp einer Hippie-Band. Sie verkörperten mit ihrer Lebensart und Musik die Ideale von Freiheit, Freizügigkeit, Unabhängigkeit und das Aufbegehren gegen das herrschende System. Lange Zeit weigerten sie sich, einen Plattenvertrag zu unterschreiben. Statt dessen spielten sie lieber umsonst auf der Haight Ashbury-Szene in San Francisco und erwarben sich dadurch ein hohes Insider-Ansehen und konnten ihre musikalischen Fähigkeiten ausbauen. Sie spiegelten das Aufeinanderprallen von traditionellen Musikformen wie Blues, Jazz, Folk und Hillbilly mit der Neugier und dem Aufbegehren junger Musiker, die bereit waren, Stile aufzubrechen, zu vermischen und eigene Vorstellungen einzubringen, idealtypisch wider. 

Erstmalig trat die Band Anfang 1965 auf den Plan. Der umtriebige Folk-Sänger Chester Williarn Powers, Jr. alias Dino Valenti (seines Zeichens Komponist der Westcoast-Hymne „Get together", ein Hit von The Youngbloods und The Dave Clark Five) trommelte seine Freunde, die R&B und Jug-Band Musiker Jim Murray (Harmonika) und John Cipollina (Gitarre) zusammen, um seine bisher unveröffentlichten Songs mit einer Band aufzunehmen. Aber einen Tag vor den anberaumten Übungsaufnahmen wurde Valenti wegen Drogenbesitzes eingelocht. Die Aufnahmen kamen nicht zustande, aber statt Valenti wurde der Bassist und Sänger David Freiberg angeheuert.

Gründungsmitglied war auch Skip Spence, der schon im Sommer 1965 die Band wieder verließ und Jefferson Airplane formierte und später vom Schlagzeug an die Gitarre wechselte und dann bei Moby Grape mitmachte. Hier fiel er durch übermäßigen Drogenkonsum und seine durch Schizophrenie verbundenen Eskapaden auf. So bedrohte er Bandmitglieder bei Studioaufnahmen mit einer Axt. Auf Grund seiner psychischen Probleme verbrachte der Exzentriker einen Großteil seines Lebens in psychiatrischen Anstalten, bevor er 1999 an Lungenkrebs starb. Neben seiner Arbeit bei Moby Grape gehört seine eindringliche, flippige Solo-Scheibe „Oar" zu seinen bedeutenden musikalischen Vermächtnissen. 

Komplettiert wurde die erste feste Bandbeziehung durch die beiden von der Garagen-Rock-Band The Brogues (bekannt durch den Klassiker „I ain't no miracle worker") kommenden Musiker Gary Grubb (der seinen Nachnamen dann in Duncan änderte) an Gitarre und Gesang, sowie Greg Elmore am Schlagzeug. Jetzt firmierten sie erstmals unter dem Namen Quicksilver Messenger Service, abgeleitet von ihren Sternzeichen. 

Als Dino Valenti aus der Haft entlassen wurde, sollte er auch noch zu der von ihm gegründeten Formation stoßen, aber schon nach nur 2 Tagen (!) auf freiem Fuß wurde er schon wieder wegen Drogenbesitzes verhaftet. So absolvierte die Band ab Dezember 1965 ihre zahlreichen Auftritte ohne ihn. Der Stil der Gruppe basierte auf Blues und Rhythm & Blues-Nummern. Diesen spielten sie hart, teilweise repitativ-monoton und reicherten ihn durch Improvisationen an, die an Jazz-Aufnahmen erinnerten. Die Gitarristen Cipollina und Duncan führten innige Zwiegepräche auf ihren Instrumenten und Freibergs donnernder stoischer Bass bildete die rhythmische Basis, zu der Elmore höchst einfallsreich und komplex trommelte. In dieser Besetzung - Jim Murray hatte das Gefüge nun auch schon wieder verlassen - spielten sie auch im Oktober 1967 ihre ersten Aufnahmen, nämlich 2 Songs für den Soundtrack des Filmes „Revolution" ein (darunter Buffy-Sainte Marie' s „Codine", auch live einer ihrer Favoriten).

Nachdem nun auch Grateful Dead und Jefferson Airplane längere Erfahrung im Platten machen hatten und ihnen dabei große künstlerische Freiheiten eingeräumt wurden, wagten QMS den Schritt und unterzeichneten bei Capitol-Records einen Vertrag. Als Produzenten für ihre erste LP wurden ihnen die erfahrenen Musiker Harvey Brooks und Nick Gravenites von der Blues-Rock-Band Electric Flag zur Seite gestellt und im Juni 1968 erblickte ihr erstes Werk, schlicht „Quicksilver Messenger Service" betitelt, das Licht der Welt.
Quicksilver Messenger Service - Quicksilver Messenger Service ...
Es ist ein stringentes, nahezu Song-orientiertes und stimmiges Standardwerk der psychedelischen Rockmusik geworden. Hier kommen die Markenzeichen der Band voll zur Geltung. Cipollinas kristalliner, schwirrender Gitarrensound, der mit Duncans Gitarrenlinien quasi eine telepathische Verbindung eingeht. Dazu der federnde Rhythmus von Elmore und Freiberg. Das Album beginnt mit einer Adaption von „Pride of man" aus der Feder des Folkies Hamilton Camp. Der Song wird als feuriger, bodenständiger Rocker interpretiert, ergänzt um mehrstimmigen Refrain-Gesang und Bläsersätzen.
„Light your windows" verführt mit gehauchten Background-Gesängen und mutiert von einem fast gespenstischen Anfang zu einer lebendigen, raffiniert verschachtelt aufgebauten Komposition.
Pop reinsten Wassers, aufbereitet mit den speziellen QMS-Zutaten ist die Dino Valenti Komposition „Dino' s Song".
Das instrumentale „Gold and Silver" ist eine Paradenummer für die Gitarristen Duncan und Cipollina, die hier ineinander verdrehte und sich ergänzende Gitarrenläufe präsentieren.
Bei „It`s been too long" geben die Gitarren einen flotten Beat vor, der streckenweise vom Gesang ausgebremst wird. Es herrscht ein besonderes Timing, welches den Zauber der QMS-Musik ausmacht. 
Die QMS-Hymne schlechthin ist „The Fool". Ein 12minütiges Stück, bei dem sich lange, fließende Gitarrensoli aufeinander zu und von einander weg bewegen. Ständig ist alles im Fluss. Begleitet wird das Geschehen von Freibergs Violine und engelsgleichen Hintergrund-Stimmen, die für Stimmungswechsel innerhalb dieses musikalischen Tipps sorgen. Erst nach über 7 Minuten setzt der Lead-Gesang an, majestätisch reichert er den Song weiter an, die Emotionen bauen sich neu auf, die Tour de Force zwischen Spannung und Entspannung wird bis zum Schluss fortgesetzt. 

„Happy Trails" vom März 1969 spiegelt den Live-Wahnsinn dieser Band wider. Es wurden Collagen aus Studiomaterial mit lebendigen Fillmore East-Auftritten gemischt, sowie Publikums-Reaktionen eingeblendet.
Happy Trails | HIGHRESAUDIO
Mittelpunkt ist die in mehrere Passagen unterteilte Version von Ellis McDaniels (alias Bo Diddley) "Who do you love". Nach dröhnendem Anfang übernimmt die fiebrige Gitarre von John Cipollina das Regiment. Über einem stoischen Rhythmus breitet er seine silbrigen Gitarrentöne aus. Der Titel entwickelt sich zu einem ausschweifendem Ungetüm, immer wieder gebändigt durch das einfühlsame Zwiegespräch von Duncan und Cipollina. 
Im eingeschobenen „Where you love" kommt das Geschehen fast zum Stehen. Hier erhält das Stück avantgardistische Züge im Sinne von reiner Lautmalerei, denn eine Melodielinie ist nicht mehr erkennbar. Schreie und Klatschen aus dem Publikum werden nach vorne gemischt. Erst nach 6 Minuten wirft Cipollina seine Licks wie ein befreiendes Soundgewitter ein.
Im Part „Which do you love" darf sich dann David Freiberg mit einem Bass-Solo austoben, bevor das Gebilde dann wieder Konturen annimmt und mit einem furiosen Endspurt aller Bandmitglieder in die Zielgerade kommt. Ein 25minütiger musikalischer Vollrausch ist zu Ende. 

Danach wird Bo Diddleys „Mona" als knackiger Blues-Rock zelebriert.
Der Song geht nahtlos in Gary Duncans „Maiden of the cancer moon" über, ein instrumentales Intermezzo mit schneidenden Gitarren.
Das folgende „Calvary" ist vom Aufbau und der Dynamik her ähnlich wie „The Fool" vom Debutalbum. 
Den Abschluss bildet eine kurze Version des namensgebenden Uralt-Country-Stückes von Roy Rogers. „Happy Trails" ist eine augenzwinkernde, leicht besoffene Referenz an alte Werte.

Gary Duncan verließ die Band schon während der Arbeiten an „Happy Trails", um mit dem wieder auf freien Fuß gesetzten Dino Valenti eine neue Formation zu gründen. Valenti hatte nach seiner Haft an seinem Solo Album gearbeitet, welches 1968 erschien und heute noch einen legendären Ruf unter West-Coast- und Freak-Folk-Fans genießt.
Dino Valente* - Dino Valente | Releases | Discogs

Das Rest-Trio hatte schon den Session-Pianisten Nicky Hopkins als Nachfolger angeheuert und nahm mit ihm das Album „Shady Grove" auf, das im Dezember 1969 erschien.
Shady Grove: Amazon.de: Musik
Hopkins war ein erfahrener Musiker, der sein Geld schon u.a. bei den Rolling Stones, The Who, The Kinks und den Beatles verdient hatte. Dementsprechend war sein Ansehen und sein Selbstvertrauen. Er schaffte es, den Stil der Band - die ja jetzt die tragende Figur des 2. Gitarristen verloren hatte - umzustellen, ohne den innovativen Charakter der Musik dadurch zu vernachlässigen. Der Kurswechsel zeigte neue Ausdrucksmöglichkeiten der Band. 

„Shady Grove" beginnt mit einer rockigen Bearbeitung des gleichnamigen Traditionals.
Mit „Flute Song",
„Too far",
„Holy Moly",
„Joseph' s Coat",
„Flashing lonesome"
und „Words can' t say"
enthält das Album tiefgründige Lieder, die eine enorme innere Spannung transportieren. Cipollina steuert mit „3 or 4 feet from home" noch einen soliden Rocker bei.
Den Abschluss bildet das über 9minütige „Edward (the mad shirt grinder)" aus der Feder von Nicky Hopkins, welches durch seine perlenden Piano- und Orgelpassagen geadelt wird.
 
Im Januar 1970 drehte sich schon wieder das Besetzungskarussell, was weitere stilistische Änderungen zur Folge hatte. Gary Duncan kehrte zurück und auch der „Gründervater" Dino Valenti verstärkte das Team. Valenti machte seine Führungsrolle geltend und steuerte unter dem Pseudonym Jesse Owen Farrow einen Großteil der Kompositionen bei. Außerdem übernahm er auch häufig die Lead-Vocals. Das polarisierte die Fans, denn seine manchmal mit schneidender, gedehnter Stimme vorgetragenen Songs sind aufgrund dieser ungewöhnlichen Phrasierung gewöhnungsbedürftig. QMS wirkten jetzt wie eine Begleitband von Dino Valenti, so riesig war sein Einfluss und kreativer Schatten. 

Mitte 1970 zeigte „Just for love" das neue Gesicht

und schon im Februar 1971 wurde „What about me" nachgeschoben.

Das Material beider Alben entstand während eines zweimonatigen Aufenthaltes auf Hawaii. Die Dominanz von Valenti führte dazu, dass sich sowohl Nicky Hopkins wie auch John Cipollina nicht mehr genügend entfalten konnten und der Band danach den Rücken kehrten. Die Songs dieser Phase haben durch die lockere Session-Atmosphäre häufig einen verspielt-naiven Charme und bekamen teilweise durch die Hinzunahme von Congas und Flöten einen exotischen Charakter. Highlights sind das euphorisierende „Fresh air" (eine Top 50-Single)
und das andächtige „Gone again"
von „Just for love" sowie das Liebeslied „Long haired lady"
und das einprägsame Titelstück von „What about me".
 
Valenti führte die Band trotz weiterer Umbesetzungen weiter und brachte unter dem verkürzten Namen „Quicksilver" im November 1971 ein weiteres Album raus.
Quicksilver Messenger Service - Quicksilver (1979, Vinyl) | Discogs
David Freiberg saß nun zur Abwechslung mal wegen Marijuana-Besitzes ein und kehrte nach seiner Entlassung nicht mehr zu der Gruppe zurück, sondern arbeitete mit Paul Kantner und Grace Slick an diversen Jefferson Starship-Projekten. Bei „Quicksilver" sorgen gut durchkomponierte Songs, die konzentriert vorgetragen werden, für ein mehr als respektables West-Coast-Rock-Album mit Folk-Wurzeln. 

Schon fünf Monate nach „Quicksilver" wurde „Comin' thru" fertiggestellt. Von der Urbesetzung waren immerhin noch Duncan und Elmore dabei. Mark Ryan von Country Joe and the Fish am Bass und Chuck Steaks an der Orgel bildeten die neue Formation, ergänzt um eine Bläser-Sektion. Hier wirken die Songs konturlos und zerfahren. Dem Album fehlt das besondere Flair seiner Vorgänger.
 
Die Kernbesetzung Valenti/Duncan/Elmore/Freiberg/Cipollina/Hopkins kam 1975 noch mal für ein Reunion-Album zusammen („Solid Silver"), das an alte Stärken und Tugenden anknüpfte. Besonders schön: "Cowboy On The Run"

Danach fiel die Band endgültig auseinander. John Cipollina
John Cipollina - Alchetron, The Free Social Encyclopedia
spielte bis zu seinem Tode 1989 in wechselnden Gruppierungen. Er gründete Copperhead, die ein satt rockendes Album veröffentlichte.
Copperhead - Copperhead: Amazon.de: Musik
Außerdem war er als Gast u.a. bei Terry and the Pirates und (besonders beeindruckend) bei der Waliser Jam-Band Man auf „Maximum Darkness" zu hören.
Maximum Darkness (Expanded+Remastered) - Man: Amazon.de: Musik
Und er nahm Platten unter dem Namen Raven und Cipollina/Gravenites Band auf. 

David Freiberg
 
arbeitete weiter mit Starship, die in ihrer Spätphase grottenschlecht, aber mega-erfolgreich wurden. 

Dino Valenti 
Dino Valenti | Diskographie | Discogs
wurde wieder Folk-Sänger und starb 1994. 

Nicky Hopkins
Nicky Hopkins - Home | Facebook
war bis zu seinem Tode 1994 weiter ein begehrter Session-Musiker.

Greg Elmore
Greg Elmore | Diskographie | Discogs
zog sich ins Private zurück und Gary Duncan,
WEDGE - R.I.P. "psychedelic ranger" Gary Duncan of... | Facebook
der die Rechte am Bandnamen hat, brachte ab und zu Aufnahmen heraus, über die man aber lieber den Mantel des Schweigens deckt.
 
Quicksilver Messenger Service waren in ihrer Blütezeit eine der aufregendsten und stilprägendsten Gruppen des amerikanischen Westküste. Mit ihrem Sound haben sie die Entwicklung der Jam-Bands nachhaltig beeinflusst. Außerdem lassen sich ihre Spuren bei Gitarristen wie Duane Allman und Dickie Betts von den Allman Brothers, Neil Young und Danny Whitten von Crazy Horse und Tom Verlaine und Richard Lloyd von Television entdecken. Deren interaktives Spiel basiert deutlich auf der Pionierarbeit von John Cipollina und Gary Duncan. 





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