Deer Tick - Mayonnaise (2019)
Resteverwertung im Hause Deer Tick?
Nachdem das Americana-Quartett Deer Tick aus
Rhode Island (Providence, USA) um den Singer-Songwriter und Gitarristen John
McCauley III im letzten Jahr zwei Platten mit den Titeln „Vol. 1“ und „Vol. 2“
herausgebracht hat, gibt es jetzt mit „Mayonnaise“ vier Songs von „Vol. 1“ in
veränderten Versionen und neun neue Lieder zu hören. Da stellt sich die Frage,
ob es sich dabei um eine Resteverwertung oder um qualitativ hochwertige
Aufnahmen handelt. Die beiden Veröffentlichungen aus dem Vorjahr hatten
unterschiedliche Ausrichtungen: „Vol. 1“ war eher akustisch und leise gehalten,
„Vol. 2“ enthielt vorwiegend laute, rockige Kompositionen. „Mayonnaise“ hat
jetzt von beiden Ausprägungen etwas und lässt auch Zwischentöne zu.
„Bluesboy“ beherbergt schweren Blues-Rock genauso wie sperrigen Indie-Rock. Die alternative Fassung des großartigen Folk-Pop-Songs „Limp Right Back“ ist ein wenig luftiger im Sound als das Original und transportiert deshalb die feine Instrumentierung noch transparenter. Der Geradeaus-Rocker „White City“ bahnt sich wuchtig seinen Weg und verbreitet mit Irish-Folk-Flair eine Leidenschaft, die auch die frühen Songs von The Pogues auszeichneten. „Old Lady“ könnte in seiner schnoddrigen Gradlinigkeit direkt von einem Daniel Romano-Album stammen. Sogar die Gesangsstimme erinnert bei dieser Mid-Tempo-Ballade eindeutig an den vielseitigen Singer-Songwriter. „Run Of The Mill“ erscheint als milder Pop-Song zunächst unspektakulär, setzt sich aufgrund seiner verschachtelten Melodie dann aber doch in den Gehörgängen fest. Das stimmungsvolle „Strange, Awful Feeling“ wird mit flehender Stimme unterlegt. Dank der straffen Instrumentierung gleitet der nüchterne Folk-Rock aber nicht ins Rührselige ab.
Ein grauer Schleier hängt über der ursprünglichen Fassung von „End Of The World“, die auf Vol. 1 enthalten ist. Dieser wird bei der aktuellen Ableitung des Songs noch durch ein geringeres Tempo und der Beigabe von sphärischen Synthesizer-Schwaden gepflegt und kultiviert, ohne dass der Titel dadurch in tiefer Schwermut versinkt. „Hey! Yeah!“ betont wieder die zupackende, unbekümmerte Seite von Deer Tick und sorgt als unkomplizierter Rocker für frischen Wind.
Es gibt schon einige Cover-Versionen des Velvet Underground-Klassikers „Pale Blue Eyes“, die sich manchmal bei der Reduzierung des Tempos übertreffen wollen. Deer Tick zieht die Geschwindigkeit gegenüber dem Original etwas an, was dem ehemals trockenen Underground-Folk-Rock eine zugänglichere, positivere Seite beschert. „Memphis Chair“ erweitert das Klangspektrum um einen soften, instrumentalen Cocktail-Bar-Jazz, der gekonnt in die Songsammlung eingepasst wird und der milde Roots-Rock von „Too Sensitive For This World“ wird von geschmeidigem Southern-Soul durchzogen.
Das kecke „Doomed From The Start“ erhält in der
Originalversion leichte Funk-Verweise, was dafür sorgt, dass der gelöste
Country-Folk-Track einen attraktiven Groove verliehen bekommt. Bei der hier
verwendeten Neuausrichtung wird der Funk durch einen dezenten Reggae-Rhythmus
ersetzt. Beim sehnsüchtigen Old-Time-Country „Cocktail“ unterstützt jetzt Spencer
Cullum jr. mit seiner weinenden Steel-Guitar die sentimentale Atmosphäre. Auf
„Vol. 1“ wurde diese Rolle noch von einem Piano übernommen.
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