Mathias Schüller - Fremder (2015)

Für jeden, der sich intensiv mit Musik beschäftigt, ist es eine Binsenweisheit: Die interessanten, anregenden, außergewöhnlichen Erlebnisse spielen sich häufig außerhalb der Charts ab. Entsprechend findet man unverbrauchte, unabhängige, nicht von Mode und Trends vereinnahmte Künstler auch nicht selten fernab der bekannten Metropolen. So hat sich unter anderem eine kleine, aber feine Szene am Niederrhein unter Experten und Spezialisten gebildet. Die Ergebnisse kann man unter anderem bei den Projekten WAITING FOR LOUISE, RUSTY NAILS und SONGS TO THE SIREN hören. Mitglied der letztgenannten Formation ist Mathias Schüller, der außerdem unter eigenem Namen unterwegs ist. Dieser Songwriter, Gitarrist, Sänger und Schlagzeuger legt jetzt mit der Doppel-CD FREMDER schon seine vierte Solo-Arbeit vor, auf der es 22 neue Songs, die seit 2013 zusammengetragen wurden, zu hören gibt.

Schüllers deutschsprachige Lieder entstehen klassisch auf der akustischen Gitarre. Später werden dann E-Gitarren, Bass, Schlagzeug und Keyboard-Begleitungen hinzu gefügt und das Ergebnis bewegt sich hauptsächlich im erweiterten Americana-Umfeld mit Schwerpunkt Folk- und Garagen-Rock. Im heimischen Kulturraum kann man eine Verwandtschaft zu STOPPOK, TILMAN ROSSMY, ROGER MATURA oder TOM MEGA ausmachen. Aber das sind nur flüchtige Vergleiche. Mathias, der fast alle Instrumente auf diesem opulenten, 109 minütigen Werk selber spielt, braucht sich aber nicht hinter etablierten Namen zu verstecken. Seine Kreationen haben genügend Potential, um auch ohne Anlehnungen an bekannte Künstler zu bestehen. Seine Art zu singen, zu texten und zu komponieren ist schon recht speziell und ihm sind einige herausragende Lieder gelungen.

In seinen Texten greift er Alltagsbeobachtungen auf, verarbeitet Erinnerungen und stellt Sinnfragen. Die Inhalte werden dabei nüchtern und gedankenvoll aufbereitet. So können die Ereignisse des Lebens ein „Tanz auf dem Vulkan“ sein. Manchmal kann man sich dabei wie ein „Fremder“ in der eigenen Haut fühlen.

„Beim Schwimmen mit den Meerjungfrauen“ ist Mathias auf der Suche nach der Leichtigkeit. Diese Album-Titel scheinen das Grundverständnis der Schüllerschen Lebenserfahrung darzustellen. Es gibt Aussagen zur Meisterung des Lebensweges und der Bewältigung von Krisen. Die Lieder werden adäquat mit nachdenklicher, seriöser, klarer, erzählender Stimme vorgetragen.

Musikalisch lässt der Künstler immer wieder durch Leckerbissen, wie dem druckvollen Slide-Gitarrenspiel in „Noch mal“ oder dem Picking bei „Indien“ aufhorchen. Für „Indien“ konnte Mathias als Gastsänger sogar Brian Krumm von THE GREAT CRUSADES gewinnen. Sie singen gemeinsam und zwar jeder in seiner Heimatsprache. Und es funktioniert, weil es textlich darum geht, wie es ist, wenn man in einer Beziehung nicht die gleiche Sprache spricht. Mathias Schüller legt ein Doppelalbum vor, mit dem man sich einige Zeit auseinander setzen kann, das textlich Denkanstöße gibt und musikalisch ausgereift ist. Wem die weiter oben genannten Referenzen sympathisch sind, der sollte sich auf jeden Fall mal mit „Fremder“ befassen. Es lohnt sich. 

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