Lost & Found-Portrait: Rainer Ptacek – Die Definition des Blues.

Im Leben eines jeden Menschen gibt es Situationen, Ereignisse und Begebenheiten, die alles verändern und die Weichen endgültig in eine andere Richtung stellen und damit dem Schicksal einen neuen Verlauf geben. Im Leben von RAINER PTACEK passierte solch ein einschneidendes Erlebnis am Groundhogs Day, dem 2. Februar 1996, als er mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit war. RAINER reparierte Saiteninstrumente. Ein Job, der half die Miete zu zahlen und seine kleine Familie über Wasser zu halten. Diese Beschäftigung hatte mit seiner wahren Passion zu tun, denn RAINER war ein Meister auf der Dobro und an der National-Steel-Gitarre, sowie ein As als elektrischer Slide-Gitarrist. Zu seinen Fans zählen unter anderem ROBERT PLANT (ex-LED ZEPPELIN, der sogar Songs von ihm aufnahm) und BILLY GIBBONS von ZZ Top. Aber an diesem schicksalshaften Tag änderte sich buchstäblich schlagartig alles in seinem Leben. Der Musiker erlitt einen Schlaganfall, der von einem Gehirntumor ausgelöst wurde. Nach der sich anschließenden Operation war nichts mehr wie vorher. In vielen Bereichen begann ein mühsamer Kampf zurück in die Normalität.

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Geboren wurde RAINER PTACEK am 7. Juni 1951 in Ost-Berlin. Seine Eltern wanderten in die USA aus, als er fünf Jahre alt war. Sie ließen sich in Chicago nieder, einer Stadt, in der der elektrische Blues unter anderem durch MUDDY WATERS, HOWLIN` WOLF und LITTLE WALTER  entwickelt wurde. Wie sich zeigte,  war er nun dadurch bei seiner Bestimmung angelangt und saugte den Sound der Unterprivilegierten direkt an der Basis auf. Seine musikalischen Helden wurden unter anderem B.B. KING, J.B. LENOIR und BUDDY GUY. Vor allem beeindruckte ihn aber der legendäre Folk-Blues-Musiker ROBERT JOHNSON, der Ende der 20er Jahre im Mississippi-Delta Kultstatus erlangte. In den frühen siebziger Jahren zog der jetzt voll entwickelte Musiker nach Tucson, Arizona, wo er hauptsächlich solo, aber auch im Trio unter dem deutsch-amerikanischen Misch-Masch-Namen RAINER AND DAS COMBO auftrat. Eine größere Bekanntheit erlangte er als Mitglied des Musikerkollektivs um HOWE GELB. Mit ihm gründete er das Projekt GIANT SANDWORMS und war ein gern gesehener Gast auf GIANT SAND und THE BAND OF BLACKY RANCHETTE-Alben.

Nachdem Anfang der achtziger Jahre zunächst nur Kassetten seiner Arbeiten im Umlauf waren, kam 1986 das erste richtige Album mit DAS COMBO raus. Der BAREFOOT ROCK wurde 1994 nochmal auf CD wiederveröffentlicht und hatte dann vier Bonus-Tracks, die 1992 entstanden und es in sich hatten.

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„Mellow Down Easy“ von WILLIE DIXON spuckt Gift und Galle, rockt wie Teufel und schert sich einen Dreck um Blues-Konventionen. „The Unseen Enemy“ groovt leicht jazzig und kann sich nicht recht zwischen Blues und Swamp-Rock entscheiden, was den besonderen Reiz des Tracks ausmacht. Zu den Stücken, die am meisten über die Einstellung von RAINER aussagen, gehört „Life Is Fine“. Gespenstisch, schmerzhaft und elektrisch aufgeladen wird hier eine Atmosphäre übertragen, die an den „Vampire Blues“ von NEIL YOUNG´s ON THE BEACH erinnert. „Mit Broken Promises“ präsentiert er eine Blues-Ballade, auf die auch JIMI HENDRIX stolz gewesen wäre.


Aber das Album hat noch viele andere Facetten zu bieten. Das Titelstück ist ein schneller  Rockabilly-Stomper, auf den DAVE EDMUNDS („Motorbikin` “) neidisch sein könnte und die Instrumental-Nummer „Sleepwalk“ bietet pures Schaulaufen seiner immensen Ausdruckskraft. Den Folk-Blues „Around And Around“ von J.B. LENOIR verwandelt er durch seine Dobro-Einlagen in einen schlängelnden, scheppernden Tune. Durch die druckvolle Begleitung wird er zwar seiner ursprünglichen Herkunft beraubt, findet dafür aber eine neue, schillernde, packende Heimat. Bei der Eigenkomposition „That`s How Things Get Done“ streift der Blues den Punk. Aufmüpfig und ungeduldig bewegt sich der Song vorwärts. Auch „I Am A Sinner“ ist unkonventionell und fällt durch einen kurz getakteten, hektischen Rhythmus auf. Was hätte wohl der Blues-Pionier ROBERT JOHNSON zu der Version seines „If I Had Posession Over Judgement Day“ gesagt? Wahrscheinlich würde diese Art der Umsetzung des Blues nicht zu seinem damaligen Folk-Blues-Weltbild passen. Rainer spielt nämlich eine schneidende E-Gitarre, die sowohl verzierende Slide-Spuren absondert, wie auch die Melodie begleitet. Einen ausgelassenen Boogie, der sicher auch MARK BOLAN von T. REX gefallen hätte, hört man bei „Where`s That At“. Es folgt noch eine ROBERT JOHNSON-Nummer: „The Last Fair Deal“ ist ein durch Hand-Claps befeuerter beschwingter Folk-Blues in der Tradition von LEADBELLY. Wie 80er Jahre Funk-Pop, als der Bass noch mit dickem Daumen schnell angeschlagen wurde (wie z.B. bei LEVEL 42), beginnt „How I Wanted You“ und zeigt, dass RAINER auch angesagte Trends einbauen kann, ohne dass es peinlich wird. Knackigen, erdigen Blues-Rock hört man zum Schluss mit „I Wish You Would“, der Bearbeitung eines Songs des Chicagoer Blues-Musikers BILLY BOY ARNOLD. BAREFOOT ROCK WITH RAINER AND DAS COMBO ist ein Monument, ein Referenzwerk des unangepassten Blues mit lebendigen, zeitlosen Klängen. Hier zeigen sich schon viele Ausdrucksmöglichkeiten von RAINER voll entwickelt, er hat aber sein Pulver noch längst nicht verschossen.

Mit seinem Nachfolge-Werk WORRIED SPIRITS von 1992 machte er hinsichtlich der Unterstützung durch andere Musiker eine Rolle rückwärts. Die Aufnahmen wurden nämlich solo eingespielt. Man hört nur RAINER`s hohe flehende Stimme und virtuos angeschlagene, schwirrende oder gepickte Saiten.

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Waren auf BAREFOOT ROCK noch 7 Cover-Versionen vorhanden, so findet man hier nur noch 4 Fremdkompositionen (von ROOSEVELT SYKES; UNKNOWN ARTIST; GREG BROWN; WILLIE NELSON). Diese werden ohne als solche aufzufallen, in das Gesamtkonzept eingebettet. Und hierbei wird oft Wert auf diffizile, beinahe meditative, in sich gekehrte Ausdrucksformen gelegt. „Life Is Fine“, dass man ja schon in einer aufgeladenen Version von BAREFOOT ROCK kennt, wird bis aufs Gerippe zerlegt und genussvoll zelebriert.

Diese Sound-Variante hat Vorbilder bei RY COODER`s intimen Soundtrack-Kreationen wie z.B. für PARIS/TEXAS. Besonders transparent wurde das Prinzip bei „Limit To It“ umgesetzt. Mit wenigen Akkorden erzeugt der Ausnahmegitarrist eine verlorene Stimmung, die sowohl Weite als auch Einsamkeit oder Ungewissheit heraufbeschwört.

Eine elektrisch verstärkte Version von POWDER KEG, dem Eröffnungstrack von WORRIED SPIRITS befindet sich auf den TEXAS TAPES, die 1993 auf Veranlassung von BILLY GIBBONS (ZZ TOP) eingespielt wurden. Offiziell ist das ein Album mit DAS COMBO. Gut unterrichtete Kreise behaupten aber, dass die Aufnahmen mit ZZ TOP als Backing-Band entstanden sind. Aus rechtlichen Gründen durfte das jedoch nicht erwähnt werden.

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Der Höreindruck bestätigt aber, dass das so gewesen sein wird. Entsprechend hat man es hier mit einem Blues-Rock-Album zu tun, bei dem der Hauptaspekt auf ROCK liegt. Der Rhythmus ist stoisch und trocken und sorgt dafür, dass RAINER seine Gitarren-Exkursionen, die nie ausufernd, sondern immer songdienlich sind, genüsslich ausbreiten kann. Auf den ersten 9 Tracks spielt er eine scharfe Slide-Gitarre, die ihn sowohl als Bruder im Geiste von DUANE ALLMAN als auch von LOWELL GEORGE ausweist.

Bei den letzten 3 Titeln begleitet er sich alleine auf der Dobro.

Diese ruhige, in sich gekehrte Variante des Blues (manche werden es Ambient-Sound nennen) führt er auf dem ohne Gesang eingespielten Album NOCTURNES, erschienen 1995, in Reinkultur weiter.

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Auf der National Steel Guitar oder dem Dobro entwirft er Klangräume, die die sengende Hitze und endlose Weite der Wüste widerspiegeln und manchmal durch Band-Schleifen einen hypnotischen Hintergrund bekommen. Sie wirken wie eine Zwiesprache mit dem Universum, eine Konversation mit den Elementen der Natur oder ein Ausloten der Tiefe der Seele. Das Ganze ist vielfach zurückgenommen und macht den Eindruck einer spontanen Improvisation. Als Referenz fallen hier die filigranen Gitarren-Meditationen eines JOHN FAHEY ein. Am Ende des Albums schlägt er wieder neue Töne an. Hier gibt es einen Remix des Titels „Ode To N2O“ als „Nod To N20“. Verzapft haben das die britischen Ambient/Techno-Jünger von THE GRID und herausgekommen ist dabei ein rhythmisch betonter Folktronic-Track, der eine moderne Sicht auf RAINER´s Output zu Tage förderte. Angeregt von dem Ergebnis hat RAINER selber zusammen mit HOWE GELB an den Keyboards im Oktober 1995 experimentelle Klänge mit Endlosschleifen-Charakter unter der Bezeichnung RAINULATOR eingespielt und als Audio-Kassette vertrieben.

Sein nächstes Projekt spielte er auch fast wieder alleine ein, aber es bestand im Gegensatz zu NOCTURNES wieder aus richtigen Songs.

So wie die melodisch starken Lieder „Flashlight“, „Don`t Know Why“ oder „All Done In“. Der psychedelische Folk „Rude World“ schält sich wie aus dem Nebel kommend, langsam ins Bewusstsein des Hörers und verströmt dann wirkungsvoll sein sanftes Gift. Mit „Pastime Paradise“ gibt es eine originelle STEVIE WONDER Cover-Version, bei der er von den CALEXICO Köpfen BURNS & CONVERTINO begleitet wird.

Mit Hilfe seiner Sample-Technik konnte RAINER mehrere Spuren seines Spiels erzeugen und gleichzeitig abspielen. Dabei entsteht dann der Eindruck, als würde ein ganzes Gitarren-Ensemble aktiv sein. Das hört man hier ansatzweise bei „The Good Book“ und „Drive“. Das Hauptgewicht liegt aber eher auf Tunes, die den Eindruck erzeugen, als wären sie noch im Demo-Status (wie „Horse Hair“). Das tut ihrer Faszination aber keinen Abbruch, da RAINER sowieso nie viele Anläufe benötigte, um seine Produktionen in den Kasten zu bekommen. Diese Aufnahmen wurden erst nach seinem Tod von seiner Frau entdeckt und im Jahr 2000 unter dem Titel ALPACA LIPS der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

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Anfang Februar 1996 ereilte ihn die verheerende Krankheit und verlangte ihm schier übermenschliche Anstrengungen ab, um wieder in Tritt zu kommen. Der Tumor hatte sein Gedächtnis zerstört und er musste völlig neu Gitarre spielen lernen. Aber er hatte tatkräftige Hilfe. Sein Freund HOWE GELB organisierte ein Tribute-Album unter dem Namen THE INNER FLAME, um die Krankenhaus-Rechnungen bezahlen zu können und mobilisierte dafür solch namhafte Künstler wie EMMYLOU HARRIS, ROBERT PLANT & JIMMY PAGE, PJ HARVEY, JONATHAN RICHMAN und MADELEINE PEYROUX. Das Werk wurde im Juli 1997, grade mal eineinhalb Jahre nach dem Schlaganfall, schon unter tatkräftiger Unterstützung von RAINER bei 6 Titeln auf der National Steel, veröffentlicht.

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Das Highlight der Zusammenstellung ist der Titel-Track. Ein fiebriger, geheimnisvoller Schleicher, der unter Mitwirkung von GIANT SAND (damals noch mit JOEY BURNS und JOHN CONVERTINO von CALEXICO) eingespielt wurde.

Sein Zustand hatte sich zu diesem Zeitpunkt gebessert und es gab berechtigte Hoffnung auf Genesung. RAINER gab in einer ehemaligen Kirche am 6. Juni 1997, dem Vorabend zu seinem 46. Geburtstag, ein Konzert. Das wurde mitgeschnitten und unter dem Titel LIVE AT THE PERFORMING CENTER in 2001 herausgebracht.

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HOWE GELB hält dies für die beste Live-Aufnahme, die je veröffentlicht wurde und tatsächlich zeigt sie einen Künstler, der alle Register seines Könnens zieht.

Wüsste man nicht, wie krank er zu diesem Zeitpunkt schon war, man würde es nicht ahnen. Denn kurz nach diesem triumphalen Auftritt griff der Krebs mit seinen widerlichen Krallen erneut nach RAINER. Er bekam wieder epileptische Anfälle und musste erneut ins Leben zurück finden. Jetzt wurde langsam klar, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte. In insgesamt 4 Aufnahme-Sessions, die über mehrere Wochen verteilt waren, nahm RAINER seine letzte Kraft zusammen und spielte sein Vermächtnis THE FARM mit seinen Wegbereitern NICK AUGUSTINE (Bass) und RALPH GILMORE (Schlagzeug) von DAS COMBO sowie HOWE GELB (Piano, Hammond B3, Synthesizer und Bass) ein.

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Als hätte er erst jetzt endgültig den Sinn des Lebens erfasst, vermitteln seine letzten Aufnahmen eine Zuversicht und Zufriedenheit, die man schon als erleuchtet bezeichnen kann. Der Opener „Junkpile“ erstrahlt treibend und mitreißend in alter DAS COMBO-Frische. Als sehr langsamer Walzer wird bei Track 2 die Frage gestellt: „Where We Are“, die RAINER dann im Track 5 mit „Here I Am“ für sich beantwortet. Ein Statement für das Leben im Hier und Jetzt. Musikalisch ist das eine geschmeidige Light-Version von „Junkpile“. So lieblich wie bei „Oasis“ hat man ihn selten gehört. Wunderschön! Nachdenklich und besinnlich nimmt uns das Titelstück mit auf eine nostalgische Reise. „The Farm“ steht als Synonym für Familie, Ernte einbringen und ein gemeinsames Ziel verfolgen. Die Saiten weinen dazu und sind ein treuer Begleiter bei diesem Resümee.

„Arabing“ klingt in der Tat etwas exotisch und demonstriert noch einmal RAINER`s überragende (wiedererlangte) Technik, genau wie der energische Folk-Blues „Hard To Remember“. Erhebend breitet sich „Love Is What“ aus. Das ist Musik, die tröstet, umgesetzt von einem Menschen, der in dieser Situation selber viel Trost benötigt hat. Das zeigt wahre Größe. Bei „Joy Is Now” und „Let`s Pretend To Be Happy” zeigt er einen drängenden, quengelnden Gesangsausdruck, den man ähnlich schon von JOHN MARTYN gehört hat. Neben dem kurzen Fragment „Shifting Blues” gibt es dann noch 7 weitere atmosphärische, nicht strikt auskomponierte Instrumental-Beiträge, die diese Abschieds-Schöpfungen abrunden. 

RAINER starb kurz nach diesen Einspielungen am 12. November 1997 im Kreise seiner Familie. Posthum erschienen weitere Aufnahmen von RAINER, die seine Ausnahmestellung als überragender Slide-Gitarrist und Dobro/National-Steel-Zauberer untermauern. Das waren bisher ROLL BACK THE YEARS mit BURNS & CONVERTINO, aufgenommen Ende Juli/Anfang August 1997, also nach LIVE AT THE PERFORMING CENTER und vor THE FARM. Außerdem THE WESTWOOD SESSIONS, VOL. 1 (1987), LIVE DOWNTOWN (1985) und THE MUSH MIND BLUES (1983) mit DAS COMBO. Zum kennen lernen eignen sich noch zwei Karriere umspannende Zusammenstellungen, nämlich 17 MIRACLES und THE RAINER COLLECTION mit bislang unveröffentlichtem Material.

Kaum jemand konnte Stahlsaiten so eindringlich und erhaben schwingen lassen wie RAINER PTACEK. Er gab seinen Tönen Raum, damit sie sich entfalten konnten und verlieh ihnen jede Menge Gefühl. Das konnte leise und unvermischt passieren, dann taugen seine Kreationen auch zur Untermalung von Bildern oder zum versunkenen Lauschen. Er konnte es aber auch handfest krachen lassen und pflegte dann einen dreckigen, ungezügelten Boogie-Blues-Rock, der nach Schweiß und Wut roch. Bei dieser Variante gab es auch immer wieder eruptive Ausbrüche in seinem Spiel. Das Kernthema war der Blues, den er frei von Grenzen, Strömungen und Erwartungen definierte. Er gab sich nicht dem akademischen 12-Takt-Schema hin, sondern sah seine Kunst als Ausdruck von Schmerz, Ungerechtigkeit und Daseinsproblemen in vielfältigen Darreichungsformen. Der Blues wurde als reinigendes Feuer und Schlüssel zu leidenden Seelen gesehen. Also als ein Lebensgefühl betrachtet, das aufgewühlt, nachdenklich-meditativ oder erzählend dargeboten werden kann. Kraft und Triebfeder für RAINER`s Leidenschaft war die Liebe. Sowohl zur Musik, zur Natur, zum Dasein im Allgemeinen und besonders zu den Menschen, von denen er umgeben war. Dieses Lebensgefühl hat ihn ausgefüllt und sorgte dafür, dass seine Musik und damit seine Definition des Blues Inhalt und Ausdruck eines kollektiven Bewusstseins wurde.

Im Zuge der CENTER OF THE UNIVERSE-Tournee von Giant Sand im Winter 1992/93 machte HOWE GELB auch in Deutschland Station. Im Bremer Club MODERNES hatte ich damals Gelegenheit, RAINER im Vorprogramm zu erleben. Ich stand nur wenige Meter von ihm entfernt und war wie fast alle Anwesenden im Raum in seinem Bann. Anfangs konnte man kaum nachvollziehen, wie er diesen vollen Sound erzeugte. Da war doch nur dieser schmächtige Mann auf der Bühne. Er klang aber wie ein sprudelnder Saiten-Rausch. Des Rätsels Lösung war, dass er mit den Füßen zwei Bandschlaufengeräte bediente, mit denen er Teile seines Spiels aufnahm und diese dann als Loops den aktuellen Riffs beisteuerte. Das lief wie selbstverständlich und völlig präzise ab. Unglaublich, so was habe ich seitdem nie wieder erlebt. Dazu kam, dass es sich nicht um eine reine Technikdemonstration handelte, sondern um Musik, die die Seele streichelt und anregt. 

Im Anschluss des eindrucksvollen Konzerts von RAINER, den PSYCHO SISTERS (SUSAN COWSILL und VIKKI PETERSON) und von GIANT SAND war ich noch lange Zeit emotional aufgeladen und gedankenverloren. Auf dem Heimweg habe ich mich deshalb total verlaufen. Ich wohnte erst kurz in Bremen und kannte mich noch nicht so gut aus. Außerdem schneite es heftig und es war bitter kalt. Ich spürte erst zuhause, wie durchgefroren ich wirklich war. Die Musik hatte mich wärmend durchströmt, so dass der Körper nicht sofort auf die Kälte reagierte. Aber am nächsten Tag lag ich dann doch mit einer fiebrigen Erkältung im Bett. Aber das war es wert gewesen, denn RAINER & Co. hatten mir ein unvergessliches musikalisches Erlebnis beschert. (Mein besonderer Dank gilt Günter Ramsauer für die Schließung der Lücken in meiner RAINER-Sammlung). 

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