Emmylou Harris & Rodney Crowell - The Traveling Kind (2015)

Emmylou Harris & Rodney Crowell spielen in ihrer eigenen Liga, sind aber bei ihrem zweiten Teamwork nicht an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gegangen.
Eine Traumpaarung! Emmylou Harris & Rodney Crowell kennen sich schon länger als 40 Jahre. Der gegenseitige Austausch begann damit, dass sie sein „Bluebird Wine“ für ihre zweite Platte „Pieces Of The Sky“ (1975) aufnahm. Er wurde dann von 1975 bis 1977 Mitglied in ihrer Hot Band und hat sich im Laufe seiner Karriere zu einem der versiertesten und renommiertesten Country-Folk-Songwriter entwickelt. Emmylou ist nach wie vor die Prinzessin des Country-Folk, die mit Gram Parsons zu früh ihren Prinzen und Mentor verloren hat. Nicht nur als Duett-Partnerin ist die Ausnahmesängerin bis heute eine Klasse für sich, denn sie ist in der Lage, mit ihrem Sopran zu jeder Situation ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen beizutragen.
Auf diese Weise hat sie schon etliche Songs veredelt, unter anderem mit Größen wie Neil YoungBob Dylan oder Willie Nelson. Erst 2013 kam es allerdings zu einem gemeinsamen Album mit Rodney Crowell („Old Yellow Moon“). Für die musikalischen Partner war diese Produktion vom Gefühl her eher ein Cover-Versionen-Album, denn außer den vier Crowell-Kompositionen gab es da nur Fremdmaterial zu hören. Im Gegensatz dazu sind Harris & Crowell aktuell bei sechs Stücken gemeinsam als Co-Autoren beteiligt. Die Zusammenarbeit mit ihren Begleitmusikern Steuert Smith (Saiten) und Bill Payne (Tasten) lief dabei wie geschmiert, so dass alle Aufnahmen für „The Traveling Kind“ in nur sechs Tagen im Kasten waren.
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Die Verbundenheit von Emmylou und Rodney ist der Schlüssel für die Harmonie und Abgeklärtheit bei den meisten der neuen Songs. Diese Kooperation erfüllt weitestgehend die Erwartungen, die man an die beiden Ikonen stellt. Aber sie machen es sich oft bequem in ihrer Komfortzone, in der sie sich perfekt bewegen. Das wirkt dann zwar statisch und berechenbar, aber es fühlt sich eben auch heimelig und wohltuend wie ein Lieblingspullover an. Erst wenn sie an Songs geraten, die sie herausfordern, können sie ihr Potential voll abrufen. So wie beim Titelstück. Rodney leitet hier den Gesang, aber Emmylou ist ihm immer hart auf den Fersen. Ihre Stimmen sind verwoben, gehen den Weg gemeinsam, stützen und ergänzen sich, um die zu erzeugenden Emotionen vollmundig auszuschmücken und zu verzieren. Das ist eine Symbiose, die zu Gelassenheit und Erkenntnis führt. Mit „The Traveling Kind“ haben die Vollblut-Musiker dadurch einen gediegenen, bittersüßen Folk-Song voller Wehmut und Tragik im Gepäck.
„The Weight Of The World“ ist ein ungewöhnlicher, groovender Jazz-Blues, der sperriger als viele der ansonsten wohltönenden Beiträge ausgefallen ist. Der gebremst schwungvolle Rockabilly-Tune „Bring It On Home To Memphis“ schäumt zwar nicht über vor Leidenschaft, ist aber ein schönes Beispiel dafür, wie ein auf Sparflamme kochender Song die beiden ausbalancierten Gourmets aus der Reserve locken kann. So werden sie auch durch die Lucinda Williams-Komposition „I Just Wanted To See You So Bad“ zu Höchstform angestachelt. Dieser kraftvolle Roots-Rock steht ihnen gut. Ihre Stimmen vereinen sich in beherzten Vokal-Sätzen, die trotzig, mutig und entschlossen erscheinen. Mit „If You Lived Here You`d Be Home Now“ haben die Grammy-dekorierten Musiker einen mittelschnellen Country-Twang geschrieben, bei dem sie auf lässige Weise ihre ganze Routine ausspielen und beweisen, dass sie in jeder Lage die Kontrolle über einen Song behalten.
Abgesehen von der schunkeligen Cajun-Nummer „Le Danse De La Joie“ sind alle übrigen Lieder einfühlsame Balladen geworden. Egal ob diese ruhigen Lieder als langsamer, trauriger Country-Walzer ausgeprägt sind („Just Pleasing You“) oder ergreifend und mitleidig vorgetragen werden („You Can't Say We Didn't Try“), sie vermitteln immer eine durchdringende Wehmut und Melancholie. Teilweise ist das hart an der Grenze zum Weinerlichen. Die Stimmung wird in diesen Fällen leider nicht ausreichend von der ansonsten wieder exzellenten Produktion von Joe Henry abgefedert und ausgeglichen. Da hätte eine Reduktion der Gefühlsduselei einen Mehrwert an Glaubwürdigkeit ergeben. Aber wer kann sich schon gänzlich der Wirkung solch feingeistiger und anmutiger Sanges- und Interpretationskunst entziehen?

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