Neil Young + Promise Of The Real - The Visitor (2017)

Routine und Erfahrung prägen das neue Werk von Neil Young. Seine Genialität blitzt immer wieder auf, die Platte kann aber nicht gänzlich überzeugen.
Neil Young hat 2014 sein Privatleben umgekrempelt. Er trennte sich nach 36 Jahren Ehe von seiner Frau Pegi, mit der er drei Kinder hat. Der Grund dafür war seine Geliebte, die Schauspielerin Daryl Hannah, die einst behauptete, Jackson Browne habe sie während deren Beziehung geschlagen. Neils Partnerinnenwechsel rief seinen streitbaren Freund David Crosby auf den Plan, der sich öffentlich negativ über die Hollywood-Diva äußerte. Das führte wiederum zum Abbruch des privaten und musikalischen Kontaktes zwischen den Musikern. Zwischenzeitlich hat Neil sogar seine einst geliebte Broken Arrow-Ranch verkauft und ist nach Los Angeles gezogen. Und ab dem 09. Dezember findet dort beim Auktionshaus Juliens eine Versteigerung von 230 Zügen aus seiner Modelleisenbahn-Sammlung statt.
Seit der Scheidung von seiner Frau stürzte sich Neil in eine Flut von Aktivitäten, die schwankende Qualitäten zutage brachten. Ab 2014 veröffentlichte der Kanadier inklusive „The Visitor“ insgesamt sechs neue Platten und brachte mit „Bluenote Cafe“ in 2015 und „Hitchhiker“ in diesem Jahr bisher unveröffentlichte Aufnahmen aus seinem Archiv heraus. Das neue Werk ist die dritte Platte mit Promise Of The Real als Backing-Band, die von Lukas Nelson, dem Sohn von Willie Nelson angeführt wird. Auch durch diese Wahl ergibt sich es eine Umorientierung beim eigenwilligen Mr. Young. Bisher waren seine bevorzugten Begleiter nämlich häufig die Musiker von Crazy Horse gewesen, jedenfalls wenn es um die härtere Gangart in Form von ausschweifendem, zähem, schwerem, deftigem und psychedelischem Folk-Rock ging. Aber auch mit diesen Herren soll sich Old Neil derzeit überworfen haben.
Der Zweiundsiebzigjährige war schon immer ein Sturkopf und eigensinniger Zeitgenosse, jedoch immer auch ein Instinktmusiker mit genialen Zügen, egal welche Begleiter er um sich scharte. Mit Buffalo Springfield entwickelte der Singer-Songwriter ab Mitte der 1960er Jahre seine Individualität und stritt sich bis hin zur Schlägerei auf offener Bühne mit Stephen Stills, dem er in Hassliebe verbunden ist. Im Verbund der talentierten Musiker lernte er trotzdem seine polarisierende Stimme zu akzeptieren, konnte sich aber nicht dauerhaft in der Gruppe integrieren. Sein Ende der 60er Jahre kreierter Folk-Rock, der sowohl von Bob Dylan wie auch von Jimi Hendrix inspiriert war, eröffnete dann völlig neue Aspekte der Durchschlagskraft, Rauschhaftigkeit und Intimität. Diese Qualitäten brachte er auch bei der Zusammenarbeit mit David CrosbyStephen Stills und Graham Nash ein, einer Verbindung, die immer wieder auseinander brach und sich mehrmals reformierte. In seinen Liedern zeigt Neil Young generell zwei Gesichter: Den introvertierten Troubadour und den extrovertierten Rocker. Manchmal hält er eine dieser Sichten strikt bei einem ganzen Album durch, manchmal mischt er beide Ebenen. So auch auf der dritten Gemeinschaftsproduktion mit Promise Of The Real.
The Visitor - Young, NeilPromise of the Real: Amazon.de: Musik
„Already Great“ spielt natürlich auf den von Ronald Reagan verwendeten und von Donald Trump aus der Mottenkiste der Politik zurückgeholten Slogan „Make America Great Again“ an. Neil - der seit Jahrzehnten in den USA lebt – fordert, dass es „Keine Mauer, keinen Hass und keine faschistische USA“ geben dürfe. Er drückt diesen Anspruch in einem cool groovenden, schleifenden und schleppendem Boogie aus, bei dem ohne Insider-Information wohl kaum jemand darauf kommen würde, dass hier nicht Crazy Horse die Begleit-Band ist.

Für „Fly By Night Deal“ versucht sich der Meister-Gitarrist als empörter Rapper. Der teils kantige, teils melodiöse Song wird dabei durch aggressiv-brachiale Gitarren aus seiner Gleichförmigkeit gerissen.
Bei „Almost Always“, „Change Of Heart“ und dem epischen „Forever“ zeigt sich Neil als reservierter Folk-Musiker mit Pop-Background im Stil seiner „Comes A Time“-Platte von 1978. „Stand Tall“ mobilisiert den hymnischen Rocker im Altmeister. Erinnerungen an Songs aus dem Konzeptwerk „Greendale“ (2003) werden wach. Ineinander verdrehte Bestandteile aus Latin-Rock und französischem Chanson verleihen dann „Carnival“ seinen speziellen Charakter. „Diggin' A Hole“ wirkt als kurzer, zähflüssiger Folk-Blues mit Call & Response-Gesängen skizzenhaft und „Children Of Destiny“ beginnt zunächst mit rumpelnden und rockenden Takten. Der Track wird aber kurz darauf in operettenhafte Klangwelten überführt. Diese beiden Klangeigenschaften lösen sich im Verlauf ständig gegenseitig ab oder gehen ineinander über. „When Bad Got Good“ ist ein im Prinzip erstaunlich dreckiger, schräger Rhythm & Blues mit unausgewogenen Verweisen auf das düstere „Tonight`s The Night“ aus 1975.
Promise Of The Road machen grundsätzlich einen guten Job als Begleitband und lassen Crazy Horse kaum vermissen. Entscheidend für die Güte eines Neil Young-Albums ist aber, ob es Lieder enthält, die die Liste seiner Klassiker bereichern oder ergänzen können. Und da schälen sich auf „The Visitor“ nicht sofort viele zwingende Kandidaten heraus. Von Neil Young erwartet niemand die Neudefinition des Rock & Roll. Das hat er schließlich schon in der Vergangenheit getan. Aber eine Untermauerung seines Ausnahmezustandes als einer der letzten Helden der Woodstock-Generation wäre wünschenswert. Statt durchgängig markige oder melodiös herausragende Stücke abzuliefern, gibt es hier streckenweise routinierte Kost, die nur von der immensen Erfahrung ihres Erfinders getragen wird, weil sie sofort als dessen Werk identifiziert werden kann.
Bei den vorliegenden Bemühungen werden aber auch Passagen abgesondert, die jeden Fan glücklich machen. Dabei ist egal, dass sich der Meister zum wiederholten Mal selbst kopiert, weil diese Entwürfe den unverfälschten Reiz des eigenständigen Künstlers repräsentieren. Dann gibt es aber auch Abläufe, die sich nach unreifen Schnellschüssen anhören. So wechseln sich Licht und Schatten ab und hinterlassen ein etwas zerrissenes Werk. Tatsächlich wachsen einige Kompositionen tatsächlich mit der Zeit, so wie man es von anderen verkannten Platten wie z.B. „Landing On Water“ aus dem Jahr 1986 kennt. Diese Musik wird heute mit anderen Maßstäben gemessen, als bei ihrer Veröffentlichung. Bei „The Visitor“ scheinen die politische Lage in den USA und besonders die einjährige Präsidentschaft von Donald Trump eine schnelle Reaktion hervorgerufen zu haben und so kann das Werk als spontaner Protest verstanden werden, der sich überhastet seinen Weg auf einen Tonträger gebahnt hat.

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