Eric Andersen - Silent Angel: Fire And Ashes Of Heinrich Böll EP (2017)

„Silent Angel“ beleuchtet das Wirken des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll. Dieses interessante Vorhaben hätte allerdings viel mehr Umfang verdient gehabt.
Im Mai erschien grade mit „Mingle With The Universe: The Worlds Of Lord Byron“ nach „Shadow And Light Of Albert Camus“ von 2014 das zweite Werk vom legendären, außergewöhnlichen Folk-Sänger Eric Andersen mit Vertonungen, die das Werk und Leben von Schriftstellern beleuchten. Jetzt folgt mit „Silent Angel: The Fire And Ashes Of Heinrich Böll“ schon die nächste Arbeit mit solch einem Ansatz. Dessen Entwicklungsgeschichte kann übrigens bei der Rezension zu „Mingle With The Universe: The Worlds Of Lord Byron“ nachgelesen werden. Andersen sorgt mit seinen Literaturbearbeitungen dafür, dass die Texte von bedeutenden Schriftstellern weiterhin im Gedächtnis bleiben. Heinrich Böll hat ihn interessiert, weil er ihn für einen individuellen Querdenker hält, der sich für eine freiheitliche Demokratie eingesetzt hat.
Eric Andersen: Silent Angel: Fire And Ashes Of Heinrich Böll ...
Bei der vorliegenden Würdigung handelt es sich eigentlich nur um ein Mini-Album, denn die Laufzeit beträgt grade mal 24 Minuten. Die vier Haupt-Songs werden dabei von dem Schunkel-Lied „Wenn das Wasser im Rhein gold`ner Wein wär“ umgeben. Zu Beginn in einer gesungenen Fassung, die von Petra Münchrath, der Frau des Label-Chefs Werner Meyer eingesungen wurde und als Abschluss gibt es eine instrumentale Variante.
Als Böll 1945 aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft nach Köln zurückkam, fand er seine Heimatstadt durch massiven Bombenhagel total verwüstet vor. Er schrieb alle seine Eindrücke davon nieder und entwickelte daraus 1949/50 seine erste Novelle „Der Engel schwieg“. In dem Lied „Silent Angel“ greift Eric Andersen diese Erlebnisse auf, lässt sie melancholisch mit Hilfe einer traurigen Geige untermalen und trägt zu der erzählerisch starken Ballade gefühlsechten, erfahrungsgegerbten Gesang bei. „Thank You, Dearest Leader“ ist ein sarkastischer Spottgesang auf den Nazi-Führer, dessen Verbrechen natürlich die Nachkriegsliteratur von Böll maßgeblich prägte. Eric hat sich als Verpackung für seine Zeilen einen robusten, von Rhythm & Blues geprägten Folk-Rock mit akustischer und elektrischer Begleitung ausgedacht.

Geige und E-Gitarre wechseln sich hierbei mit ihren Solo-Einsätzen ab. „Face Of A Clown“ basiert auf dem Buch „Ansichten eines Clowns“ (1963), in dem die Geschichte eines Mannes erzählt wird, der an den gesellschaftlichen Konventionen im Nachkriegsdeutschland der 1950er Jahre zerbricht. Der Song wird aus der Sicht des Clowns Hans Schnier erzählt und spielt sich musikalisch als bluesgetränkter, Southern-Rock-erfahrener Ethno-Folk ab. Während des dritten Reiches war es in vielen Familien tabu darüber zu sprechen, was mit den Juden während der Nazi-Herrschaft geschah. Böll hat dieses Verhalten in seinem Roman „Billard um halb zehn“ von 1959 thematisiert und Andersen griff die Verschleierung der Wahrheit für seinen Track „Silence“ auf. Wut, Verzweiflung, Trauer und Scham sind die Gefühle, die der Poet in einem beschwörenden Song transportiert und eindringlich nebeneinander stellt.
Diese vier Kern-Beiträge haben die gewohnt souveräne Qualität der klassischen Andersen-Songs und ihre Darbietung verlangt nach Zugabe, die aber leider nicht gewährt wird. Und das ist der große Makel dieser Veröffentlichung, denn die Gesamtlaufzeit von 24 Minuten ist viel zu kurz. Der Hörer gewinnt den Eindruck, dass hier noch nicht alles zu Ende erzählt ist und dass es noch viele Themen und Noten geben muss, die gerne zu weiteren Eindrücken zusammengeführt werden wollten. Nur deshalb kann für das Werk trotz der vier klugen, intensiven Songs keine Bestnote vergeben werden.

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