Synje Norland - Who Says I Can´t? (2016)

Ein großes Talent begibt sich etwas zu unentschlossen auf das Gebiet des melancholischen Kunstlieds.
Synje Norland trägt einen nordischen Namen, stammt aber nicht aus Skandinavien, sondern aus Nordfriesland. Aber auch die Weite und das raue Klima Norddeutschlands können - besonders wenn es aufs Jahresende zugeht - aufs Gemüt drücken und melancholische, jahreszeitlich bedingte depressive (Ver-)Stimmungen hervorrufen. Bei Kunstschaffenden stellt sich dann häufig eine getragene, Moll-lastige Ästhetik ein, die auch auf der dritten Platte der Allrounderin eine wichtige Rolle spielt.
Who Says I Can't - Synje Norland: Amazon.de: Musik
Das junge Talent startete schon früh ihre musikalische Ausbildung und verstand sich zunächst als Pop-Sängerin, die mit Prädikaten wie „liebenswerter mädchenhafter Charme“ bedacht wurde. „Who Says I Can't?“ ist allerdings überwiegend ein erwachsenes Album mit ernsthafter Musik geworden, die gelegentlich sogar einen gewissen Kunstanspruch verfolgt. Bis auf die Cello-Beiträge und einige Streicher-Arrangements von Michael Becker, die dem Sound einen zusätzlichen seriösen Anstrich verleihen, kommen alle anderen Zutaten wie Saiten-, Tasten-, und Schlag-Instrumente von Synje. Aber die 34-Jährige hat nicht nur die restlichen Instrumente selbst eingespielt, sondern auch die Lieder komponiert und arrangiert.
Die dunkleren Klang-Facetten stehen der Nordfriesin offensichtlich am besten, hier ist sie ganz bei sich und entfaltet ihre Ideen auf sicherem Boden. Das rätselhaft-bedrückende „Intro“ und das düster-energische „Escape“ haben einen Hang zum Drama-Soundtrack und gehören allerdings noch alleine dem Cellisten. Auch bei „My Heavy Heart“ und „Let It Go“ spielt das erschütternd traurige Cello eine Hauptrolle. Es malt beunruhigende Szenarien in die Luft und Synje füllt diese durch ihre wandlungsfähige Stimme vielfältig aus. Sakral und hingebungsvoll wurde auch „Interlude“ gestaltet und „Into The Blue“ ist als sensibler, intensiver Klassik-Folk-Mix mit traurig-sehnsüchtigem Gesang angelegt.
Auch die Komposition „Who Says I Can't?“ erfüllt einen künstlerischen Anspruch und bekam ein interessantes Video spendiert, das auf der dänischen Insel Mön gedreht wurde. Der Song betört den Hörer mit fester, teils kristallklarer Stimme, wickelt ihn suggestiv ein, versucht auch sachlich zu überzeugen und bearbeitet die Sinne mit intellektuell anmutenden Tönen, eingängigen Refrains und monotonen Wiederholungen. Es gibt auch Tonkaskaden, die an das Rufen von Wildgänsen auf ihrem Weg nach Norden erinnern. Eine weitere Verbeugung in Richtung der friesischen Heimat.

„Riverside“ bietet verzwickten Folk-Pop, der musikalisch eine Kreuzung zwischen Kate Bush und Björk darstellt. Gesanglich lässt sich die junge Dame jedoch nicht aus der Reserve locken und versieht ihre Pop-Noten mit einem ernsten Überzug. Ein expressives Geigen-Solo zum Ende des Tracks sorgt dann noch für unerwarteten Aufruhr. Für „Delirium Dive“ betätigt sich die Künstlerin als Folk-Sängerin und begleitet sich dabei überwiegend kammermusikalisch, wobei noch ein überschaubares Dance-Pop-Intermezzo eingebaut wird.
„The Ruler Of The Golden Age“ und „Bigger And Better“ klingen mitunter märchenhaft und lassen dann an Fantasy-Welten und Hexentänze denken. „Running Game“ wirkt aufgesetzt und übertrieben theatralisch. Das wird mitunter durch die teilweise unnatürlich hohe Stimme noch verstärkt. Mit solchem esoterischem Gesäusel verkauft sich die großartige Sängerin weit unter Wert, solche Eskapaden können getrost Celine Dion überlassen werden.
Synje Norland ist ein Ausnahmetalent, das mit „Who Says I Can't?“ eine Werkschau über die Palette seiner Möglichkeiten abliefert. Das erweckt den Eindruck einer Bewerbung, weil alle vorhandenen Vorlieben irgendwie berücksichtigt werden. Und genau da liegt das Problem, aus dem das Album nicht als Ganzes funktionieren will: Es fehlt die eindeutige Identifikationsebene.
Mit dem Cellisten Michael Becker verbindet die erfahrene Musikerin eine fast symbiotische musikalische Verbindung. Immer wenn er ins Spiel kommt, ist der Ausdruck wahrhaft oder ernsthaft und es werden Gefühle wie Zweifel oder Furcht überzeugend vermittelt. Die Pop-Bestandteile der Kompositionen kommen nicht immer so überzeugend rüber und hören sich manchmal wie schmückendes Beiwerk an, um die Stimmung nicht allzu düster zu gestalten. Mit einem deutlichen Bekenntnis zum Kunstlied oder zum dunkel-melancholischen Song mit delikater, transparenter Begleitung wäre Synje Norland zur Schaffung von großer Pop-Kunst in der Lage. Wer sagt, das könne sie nicht?

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