Gemma Ray - The Exodus Suite (2016)

Gemma Ray belebt das Modell des Konzeptalbums, angeregt durch das Flüchtlingsdrama.
Das Werk der englischen Musikerin Gemma Ray aus Essex, die aktuell in Berlin lebt, steht für künstlerischen Anspruch und durchdachte Konzeptionen. „The Exodus Suite“ ist bereits ihr siebtes Album und wurde als eine 52-minütige Odyssee von epischen, psychedelischen, sentimentalen Liebesliedern angekündigt. Die Einspielungen fanden in den Candy Bomber Studios im ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin statt und wurden entgegen der sonstigen Vorgehensweise weitgehend unbearbeitet belassen, um die Spontanität des Augenblicks zu erhalten. In den Liedern geht es um persönliche und politische Inhalte wie Liebe, die ein Leben lang hält, Tod, die Macht der Natur sowie Flucht und Mitgefühl. Mit den letzten beiden Themen wurde Gemma direkt konfrontiert, denn der Hangar des Flughafens dient als Heim für 8.000 syrische Flüchtlinge. Und so beeinflusste dieser Zustand Stimmung und Namensgebung der Platte.
The Exodus Suite - Gemma Ray: Amazon.de: Musik
Musikalisch hat Gemma Ray ihre breit aufgestellte Stil-Palette in einen Gothic-Cabaret-Psychedelic-Pop-Surf-Folk-Entwurf münden lassen. So vermittelt der Opener „Come Caldera“ den Eindruck einer festlich-kirchlichen Messe und der dazu verabreichte feierliche Gesang wird von ehrfürchtigen Orgelklängen begleitet. Tänzelnd, Flamenco und Surf-Music andeutend, macht dann „There Must Be More Than This“ auf sich aufmerksam. Das E-Piano der Doors wird entstaubt und dunkle Mächte sowie durchfeierte Nächte werden aufreizend und geheimnisvoll zugleich zusammengebracht.
„The Original One“ ist sentimental angehaucht und wurde mit flirrenden Gitarren versehen. Das Stück verliert sich jedoch in weitläufigen, räumlichen Sounds
und „We Do War“ erschöpft sich in häufigen Wiederholungen des Titels. Die Erzeugung von ritualen Klängen überdeckt die Bemühungen um eine prägende Melodie.

60s-Pop, Flamenco und psychedelische Surf-Music ergeben bei „Ifs & Buts“ einen ungewöhnlichen, anregenden Mix, der in ein rauschhaftes Gitarren-Solo mündet. Der feenhafte, märchenartige Einschlag bei „We Are All Wandering“ passt zu dem im Kern als Pink Floyd-Progressive-Rock mit Surf-Anstrich konzipierten Stück und fügt sich harmonisch in die komplexe Struktur ein. Mit „Acta Non Verba“ folgt ein kurzes instrumentales Intermezzo, das eine verwunschene, neblig-fiebrige Stimmung vermittelt.
Hall auf der Stimme und Echo auf der Gitarre, die auch mit Feedback aufwartet, werfen ein verwegenes Licht auf den Pop-Folk-Rock von „Hail Animal“. „The Switch“ stellt dann die klare, natürliche Stimme von Gemma in den Vordergrund. Nur von einer zurückhaltenden, glitzernden E-Gitarre begleitet, nimmt sie den Raum ganz für sich ein. Für „The Machine“ kreuzen Country-Twang- und Surf-Reverb-Gitarren ihre Saiten mit einem Gesang, der alle Register der Verführungskunst zieht. Nach zweieinhalb Minuten werden noch ein die Richtung wechselndes Gitarre/Schlagzeug-Intermezzo und Dub-artige Sounds eingebaut.
„Shimmering“ setzt immer wieder zum Durchstarten an, schafft den Durchbruch jedoch erst nach vier Minuten, um dann aber nach kurzer Zeit wieder in einer experimentell-verspielten Soundfindung zu entschwinden. „Caldera, Caldera!“ ist ein Bonus-Track und die Fortsetzung und Ergänzung von „Come Caldera“. Dieser störrische Surf-Art/Pop-Garagen-Rock entwickelt einen innovativen Klang, der belebende und nachdenkliche Elemente enthält.
Die Songs auf „The Exodus Suite“ haben eine theatralische Seite mit Kunst-Anspruch und scheuen sich nicht, eine gewisse Sperrigkeit in Kauf zu nehmen. Es ehrt Gemma, dass sie abseits der gängigen Pop-Schemata nach Ausdrucksformen sucht, die bekannte und neue Verbindungen gleichberechtigt zusammen bringen. Manche Versuche entwickeln dabei im Gegensatz zum Vorgänger „Milk For Your Motors“ (08/2014) eine gewisse Unnahbarkeit, die nur schwer zu durchdringen ist. Die Platte will deshalb sorgsam entdeckt werden und wird sich nur dem geduldigen Hörer erschließen.

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