Eric Andersen - Mingle With The Universe: The Worlds Of Lord Byron

Der Folk-Veteran Eric Andersen verbindet seine Liebe zur anspruchsvollen Literatur mit seiner Leidenschaft für ausdrucksstarke Musik.
Mitte der 1960er Jahre war der New Yorker Stadtteil Greenwich Village Mittelpunkt der brodelnden Folk-Szene der USA. Hier starteten unter anderem die Karrieren des unterbewerteten politischen Berichterstatters Phil Ochs und von Dave Van Ronk, dem Hintergrundcharakter aus dem Film „Inside Llewyn Davis“ sowie von Fred Neil, dem Ahnen aller Folk-Jazzer und natürlich von der Ikone Bob Dylan. In dieses kreative Klima platzte im Winter 1964 auch der 21jährige Eric Andersen aus Pittsburgh. Er tingelte ein Jahr vorher noch durch San Francisco und wurde bei einem Auftritt vom Folk-Sänger Tom Paxton gehört, der ihm dringend den Kontakt zur New Yorker Szene empfahl.
Eric Andersen hatte dort hinsichtlich seiner Laufbahn Glück im Unglück. Er sollte als neuer Bob Dylan aufgebaut werden, was ihm zügig einen Plattenvertrag sicherte. Seine Talente wurden aber aufgrund dieser marketingtechnischen Fehlauslegung nicht ausreichend gefördert. Der Beatles Manager Brian Epstein erkannte das Potential und wollte ihn unter Vertrag nehmen, verstarb aber, bevor der Vertrag zustande kam. Andersen brachte trotzdem einige sehr beachtliche und anrührende Alben mit verzückendem Country-Folk zustande (z.B. „Blue River“, 1972).
Der sensible Musiker wurde mit der zugedachten Rolle nicht wirklich glücklich und fiel ungerechterweise beim Publikum weitestgehend durch. Dabei hätte er große Beachtung verdient: Er ist ein grandioser Geschichtenerzähler, spielt versiert Gitarre und Piano und kann Melodien zum Dahin schmelzen schreiben. Sein größtes Plus ist jedoch seine sehnsuchtsvolle, bitter-süße Stimme, die so viele unterschiedliche positive und negative Schattierungen ausdrücken kann. Wahrscheinlich könnte Eric das Telefonbuch rauf und runter singen und auch dabei seine Zuhörer fesseln.
Seine treuen Fans wissen zu schätzen, dass sich der Künstler schön früh in seiner Karriere dafür entschieden hatte, lieber unabhängig zu bleiben, um seine Visionen ohne Zwänge umsetzen zu können. Bis heute veröffentlichte Andersen nach diesem Prinzip über zwanzig Studio-Alben bei unterschiedlichen Plattenfirmen. Musikalisch ist er in ständiger Bewegung und auf der Suche nach alternativen Ausdrucksformen im Folk-Umfeld. Beispielsweise gibt es von ihm das Doppelalbum „Beat Avenue“ aus 2003, das auf der zweiten Platte den gleichnamigen Song enthält. Der ist über fünfzehn Minuten lang und wird von einem Drum-Computer-Beat getragen. Über diesen Rhythmen laufen dann jazzige Arrangements ab. Sehr ungewöhnlich für einen Folkie! Inhaltlich wird der 22. November 1963, der Tag an dem John F. Kennedy ermordet wurde, aufgearbeitet.
Eric verbrachte ihn zusammen mit Beatnik-Poeten wie Allan Ginsberg und Jack Kerouac. Als singender Poet hatte er schon immer eine besondere Beziehung zu Literaten wie Rimbaud oder Baudelaire. Das ist eine Leidenschaft, die ihn dazu brachte, seinen Schriftsteller-Helden musikalisch Tribut zu zollen: 2014 kam „Shadow And Light Of Albert Camus“ heraus, das sich mit dem Werk des Literaturnobelpreisträgers befasste. Als nächste Würdigung soll ein Werk über Heinrich Böll erscheinen, den der belesene Sänger, der in den 1980er Jahren in Norwegen lebte und jetzt in Holland zuhause ist, als aufrechten Demokraten schätzt.
Eric Andersen: Mingle With The Universe: The Worlds Of Lord Byron ...
Aktuell vertonte er zwölf Abhandlungen des Dichters Lord Byron, zwei weitere Texte („Hail To The Curled Darling“ und „Albion“) sind Eigengewächse, die sich mit dem Leben des Briten auseinander setzen. Bei der Umsetzung des Projektes unterstützen ihn seine niederländische Frau Inge (Gesang), Michelle Gazich (Violine), Giorgio Curcetti (Oud, Bass, elektrische Gitarre), Cheryl Prashker (Djembe, Schlagzeug, Percussion) und Paul Zoontjens (Piano).
Mit teils gebrochener Stimme verwandelt Eric den Folk-Song „There'll Be None Of Beauty's Daughters“ in eine ergreifend-traurige Ballade. Die Geige weint, die Mandoline lässt Hoffnung aufkeimen und der ausgereifte Gesang verleiht dem Welt-Musik-Flair von „Song To Augusta“ eine unbeugsame Haltung. Andersen lässt „She Walks in Beauty“ als bedrückende Folk-Jazz-Nummer erscheinen und „Hail To The Curled Darling“ klingt wie die besonnene Cover-Version eines Swamp-Blues von Tony Joe White.
„Farewell To A Lady“ erinnert an die Storyteller-Songs aus den Anfangstagen des Troubadours und „Child Harold's Farewell“ sowie „So We'll Go No More A-Roving“ offenbaren Irish-Folk-Wurzeln. „Albion“ nutzt sowohl Folk- wie auch World-Music- und Pop-Zutaten, um eine breite Ausdehnung anzunehmen. „Fifty Times“ enthält einen gesprochenen Vers, der die Einleitung zu dem ebenfalls mehr zitierten als gesungenen, arabisch anmutenden „Darkness“ bildet. Die intensive Vortragsweise beweist, dass an der These der spannenden Telefonbuch-Vertonung was dran sein kann. Das aufgedrehte „Taqsim“ klingt nach nordafrikanischer Musik, weist aber auch Elemente von Flamenco und Jazz auf und bleibt durchgehend wortlos.
Westliche und östliche Folklore verbinden sich bei den romantischen „Mingle With The Universe“ und „Maid Of Athens“ zu einer global funktionierenden kulturellen Verbindung.

Country-Rock mit extrovertierter Geige trifft bei „When We Two Parted“ auf lebendige Handtrommeln, die im Hintergrund für Exotik sorgen. Eric Andersen kann gar keine schlechten Platten machen. Manche wie „Ghosts Upon The Road“ von 1989 oder die Zusammenarbeit mit Rick Danko von The Band und dem norwegischen Singer-Songwriter Jonas Fjeld von 1991 sind sogar sensationell. Das neue Werk des engagierten Freidenkers ist ein ambitioniertes Projekt, bei dem Weltmusik-Bezüge einen erheblichen Anteil ausmachen. Der Einsatz des arabischen Saiteninstruments Oud, der westafrikanischen Bechertrommel Djembe und einer mit vielen Spielarten vertrauten und gesegneten Geige legen die Basis für dieses Anliegen.
Daneben wird eine Kernkompetenz des Amerikaners in die Waagschale geworfen. Diese besteht im Erfassen von dunklen, verschlungenen Zuständen, deren Erkenntnisse dann in analytische, ausgeklügelt-erfahrene Country-Folk-Moritaten transformiert werden. Diese Komponenten führen dazu, dass sowohl Erwartungshaltungen befriedigt wie auch unerwartete Stilübungen verabreicht werden. Eric Andersen bleibt weiterhin unangepasst, leidenschaftlich und dank seiner warm-rauen Stimme innig mit seinen Hörern verbunden.

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