Joep Beving - Prehension (2017)

Wer Klaviermusik mag, die nicht zu lieblich und auch nicht zu experimentell ist, der sollte sich Joep Beving anhören.
Piano-Solo-Aufnahmen sind im Allgemeinen eine zwiespältige Angelegenheit. Entweder sie sind sentimental verklärt und taugen nur zu esoterischen Zwecken (wie z.B. bei George Winston) oder sie sind intellektuell überdreht und nur von studierten Musikwissenschaftlern zu begreifen (wie z.B. bei Cecil Taylor). Dazwischen gibt es noch Klassik-Einspielungen (wie z.B. von Chopin) oder anspruchsvolle Jazz-Kompositionen (wie z.B. von Keith Jarrett), die beide Elemente enthalten können.
Prehension - Joep Beving: Amazon.de: Musik
Der Holländer Joep Beving verleiht der Gattung „Solo-Piano“ zwar keine neuen Impulse, dennoch sind seine Kompositionen oft verlockend oder schön. Schön im Sinne von wohlklingend oder angenehm ohrenschmeichelnd. Dabei sind sie nicht etwa kitschig, aber eben auch nicht immer innovativ. Irgendwo zwischen Klassik und Jazz angesiedelt schaffen sie Ernsthaftigkeit, ohne bieder zu sein. Die Piano-Kreationen von „Prehension“ wurden auf dem Klassik-Label „Deutsche Grammophon“ veröffentlicht, das für seine audiophilen Kostbarkeiten bekannt ist und jüngst Jarvis Cocker & Chilly Gonzales unter die Fittiche nahm.
Die Musik taugt sicher nicht dafür, um beim Joggen die Leistung anzuspornen. Aber werden die Töne in entspannter Atmosphäre und möglichst über Kopfhörer konsumiert, dann können sie zu einem freien, angeregten Geist führen. Bevor Joep, der Juhp ausgesprochen wird, professioneller Musiker wurde, arbeitete er zehn Jahre lang in der Werbebranche und schuf dort verkaufsfördernde Stimmungen. Er befasste sich also intensiv mit der Wirkung von Tönen auf das Verhalten der Menschen. Deshalb ist es ihm auch möglich, sein eigenes Empfinden unmittelbar in Klänge umzusetzen. Er spricht davon, dass er jetzt einfache Musik für komplexe Gefühle gestaltet. Und dabei scheint er den Nerv von vielen Leuten zu treffen und sie emotional tief zu berühren: Der Song „Sleeping Lotus“ von seinem ersten Album „Solipsism“ wurde nämlich bisher beinahe zwanzig Millionen Mal gestreamt.
Trotz der relativen Ähnlichkeit vieler Stücke haben doch alle einen speziellen Charakter: „Ab Ovo“ kombiniert Minimal-Art Strukturen mit erzählerischen Elementen. Die Stimmung wechselt dabei von bedächtig auf dramatisch. „Kawakaari“ verbreitet Trauer, Angst und Verzweiflung und „The Gift“ gibt sich scheu oder tänzelnd. „Impermanence“ wirkt verstört und desorientiert und „A Heartfelt Silence“ besteht aus isolierten Fragmenten und Splittern.
„Sonderling“ trägt barocke, verschnörkelte Züge und „Le Souvenir Des Temps Gracieux“ entführt in die romantische Klassik. „Pippa' s Theme“ könnte der Soundtrack für eine teils glückliche, teils problembehaftete Romanze sein und „The Man Who Carried The Wind“ klingt wie die Begleitung zu einem Stummfilm-Drama. „Seelenkind“ macht einen verträumten, sehnsuchtsvollen Eindruck und „432“ setzt auf die durchdringende Wirkung von hallenden, wiederkehrenden Mustern. Bei „Hanging D“ werden hämmernde Akkorde so energisch hinter- und nebeneinander platziert, dass sie wie ein Regen aus metallischen Tropfen klingen. „A Heartfelt Silence 2“ bewegt sich in Zeitlupe, während für „An Amalgamation Waltz 1839“ ein Walzer-Rhythmus unter eine zärtliche Melodie gelegt wurde. „Every Ending Is A New Beginning“ erzählt dann zum Schluss eine instrumentale, sehnsuchtsvolle Geschichte voller Hoffnung.
Der niederländische Zweimetermann möchte ein Gegengewicht zu der hektischen Welt voller Unsicherheit und Angst schaffen. Beving kann seine durchaus vorhandene suggestive Kraft dafür immer voll ausspielen, wenn er minimalistische Motive verwendet („Ab Ovo“, „Impermanence“) oder durch das Abtauchen in dunkle Gefilde das Tempo gegen Null laufen lässt, so dass die Zeit manchmal stehen zu bleiben scheint („Kawakaari“; „A Heartfelt Silence“). Dann prägt er ein spezielles Profil und entgeht den süßen Versuchungen der Romantik. Joep Beving verspricht Augenblicke der Muße. Er möchte Bilder entwickeln, die den Zuhörern Raum und Gelegenheit geben, um Lücken in ihrer Vorstellung zu füllen. Joep umschifft bei diesem Vorgehen weitgehend die Hürden, die zu manipulativer Gebrauchsmusik führen, weil er neben gefühlvoll gefärbten Kompositionen immer wieder Hörfutter anbietet, das ausgetretene Pfade verlässt.

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