Big Thief - Masterpiece (2016)

Alternativer Folk und Rock mit Höhen und Tiefen: Big Thief haben noch kein Meisterwerk geschaffen, verfügen aber über Entwicklungspotential.
Es zeugt anscheinend von Selbstbewusstsein, wenn Musiker ihren Erstling schon als Meisterwerk bezeichnen. Oder gibt es etwa eine andere Erklärung für diese Ausdrucksweise? Mit „Masterpiece“ meinen Big Thief nicht die Platte, sondern vielmehr das Leben selbst, dass es mit all seinen Herausforderungen anzunehmen und zu meistern gilt. Der Auftakt des Albums lässt zumindest noch nicht ahnen, was in der Formation aus Brooklyn wirklich steckt, denn bei „Little Arrow“ handelt sich um ein verrauschtes Stück in schlechter Tonqualität, bei dem zur akustischen Gitarre gesungen wird.
Masterpiece - Big Thief: Amazon.de: Musik
Erst der Titelsong „Masterpiece“ gibt die Sicht auf den Sound des Quartetts frei. Über einem sämig rumpelnden Neil Young & Crazy Horse-Beat liegt der mädchenhafte, aber sichere Gesang von Adrianne Lenker.

„Real Love“ ist ähnlich gelagert. Hier wird der Neil Young & Crazy Horse-Garagen-Rock mit einem explodierend-experimentellen Sonic Youth-Gitarren-Gewitter und vertrackt-eckigen, undurchsichtigen Alternative-Rock-Spielereien angereichert. Auch „Interstate“ ist unbequem. Dieser unrunde Alternative-Rock wird nur durch den versöhnlichen Lead-Gesang zusammengehalten.
Überhaupt ist der Gesang der Frontfrau der Dreh- und Angelpunkt der Kompositionen: Mit einer Stimme, die Unschuld, jugendliche Unbekümmertheit und Nachdenklichkeit ausdrückt, bewegt sich die Sängerin bei „Vegas“ durch mehrere Gefühlswelten. Adrianne kann auch naiv-süßlich agieren. Diese Frequenzen ordnet sie „Paul“ zu, das eine einfache Pop-Melodie aufweist. Die sanft-betuliche Begleitung ruiniert beinahe den Song. Auffällige Störeffekte von der E-Gitarre rütteln das gemütlich-gemächliche Beisammensein dann noch ein wenig, aber nicht genügend durcheinander.
Für „Humans“ spult Adrianne ihren hohen Gesang mit einer unbeteiligt wirkenden Routine ab. Aber das ist alles nur Fassade und erinnert vereinzelt an Blondie („Heart Of Glass“). Sägende, schrille Gitarrensalven stören zwischendurch wieder die Harmonie dieses Wave-Pop-Stücks. „Animals“ lebt von wechselnden Stimmungen und unterschiedlichen Tempi. Das reicht von verträumt-balladesk über flott bis hin zu stürmisch. „Velvet Ring“, „Randy“ und „Lorraine“ zeigen das Quartett als versunkene, dezente Troubadoure und „Parallels“ missglückt in dieser Konstellation durch nervig lange Wiederholungen des Refrains.
Big Thief vereinen Spuren des herausfordernden Wave-Pop der 80er-Jahre mit dem alternativen Folk-Rock von heute. Ab und zu gibt es auch noch etwas Gedröhne und Pop-Einklang. Die Gruppe ist um Abwechslung bemüht, hat gute melodische Einfälle und die eingestreuten Zitate zeugen von gutem Geschmack. Die Mischung bietet für jeden etwas, aber für niemanden alles. Will heißen: Die verwendeten Ideen und Verweise sind zwar gefällig, werden aber ab und zu unausgegoren aneinandergefügt, so dass der Song keine Gelegenheit hat, sich zu entfalten. Das soll Vielfalt demonstrieren, bewirkt aber unter Umständen den Eindruck von Stückwerk und Aktionismus. Da die Ansätze jedoch grundsätzlich vielversprechend sind, sollte den jungen Leuten noch eine Chance zur Schärfung ihrer Vorstellungen eingeräumt werden.

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