Tschaika 21/16 - Tante Crystal Uff Crack Am Reck (2016)

Ein Berliner Gitarre/Schlagzeug-Duo verbreitet heftigen Underground-Rock. Der wird mit Witz und Kompetenz verabreicht, ist aber auch anstrengend.
Bauer Tim (Gitarre) und Onkel (Schlagzeug) sind Tschaika 21/16. Die Berliner Undergroundmusiker spielen fast ausschließlich Instrumentalmusik und sind auch deswegen nicht unbedingt eine Neuauflage der White Stripes oder Black Keys. Schade ist, dass der Gesang zu kurz kommt, denn die verrückt-lustig-absonderlichen Titel der Songs lassen auf durchgeknallte, dadaistische Texte hoffen. Aber das wäre dann wohl auch zuviel des Wahnsinns gewesen. Jedenfalls machen die Musiker mit ihrem trocken-schrägen Humor von vornherein darauf aufmerksam, dass mit Musik von Bekloppten für Bekloppte zu rechnen sein muss.
Tante Crystal Uff Crack am Reck (White Vinyl) [Vinyl LP ...
Den Anfang der Freak-Show macht „NadashaBackDieGowa“, was eine Veralberung der bayerischen Sprache sein soll und so viel wie „Natascha, pack die Koffer“ bedeutet. Ein absichtlich unverständliches Gemurmel geht in ein Fake-Volkslied mit Akkordeon und Gitarre über. Blödsinn und Satire gehen hier Hand in Hand. „Griechisches Bein“ zeigt dann das wahre Gesicht des verrückten Duos und ihre Leidenschaft für laute, dröhnende, krachende Sounds. Eine Jazz- und Progressive-Rock-Fusion ist das Standbein dieses Tracks, bei dem Schwermetall-Riffs und treibende Drums mit Funk-Anteilen bestückt werden. Am Ende werden Field-Recordings eingesetzt, die die Musikanten beim Lösen einer Fahrkarte zu Gehör bringen.
„Quadratur vom Fotz“ klingt nach Schwerarbeit. Kein Wunder bei so viel brutaler Gewalt, nervöser Unruhe und plötzlichen Kurswechseln. Dieser derbe Progressive-Rock weist Hakenschläge auf, wie sie auch von Frank Zappa bekannt sind. Die Aufnahme ist ungeschliffen und wirkt spontan. Sogar Fehlstarts wurden zugelassen. Gegen Ende bekommt der Track dann noch eine zünftige Trompeten-Begleitung verpasst. Danach werden Ausschnitte von einem Aufenthalt an einer S-Bahn-Station eingeblendet, die die beiden Musikanten in ihrem natürlichen Lebensraum beleuchten. Bei „Breitzeit“ ergänzen zwei meistens besonnen agierende Trompeten das ansonsten unruhige Geschehen, bei dem auch ein paar Verse gesungen werden. Die Musik ist jazzig-experimentell, hat aber ein Rock & Roll-Herz mit festen, starken Rhythmus-Mustern. Und wieder gibt es Impressionen aus Berlin zu hören. Diesmal von einer S-Bahn-Fahrt.
„Zeh64“ geht als Jam-Rock mit Blues-Basis durch. Noise-Rock-Attacken wechseln sich dabei mit luftigeren Passagen ab. Dieses Mischverhältnis macht den Reiz des Tracks aus. Für „Lass mich in deinem Wald der Oberförster sein“ wird den Trompeten zwecks Glättung der heftigen Wogen mehr Raum zugestanden, denn das Stück gerät stellenweise fast außer Rand und Band. Metal, Psychedelic-Rock und Jazz bilden das Gerüst und ein wenig gesungen wird auch. Einen Besuch auf dem Markt gibt es zusätzlich noch zu erleben.
Bedrohlicher Post-Rock mit Metal-Einschlag erwartet den Hörer bei „Doom mich auch“. Verhalten-versteckte Stimmen und verwehte Trompeten-Fanfaren können die unheilvolle Stimmung auch nicht entscheidend abmildern. Nach getaner Arbeit gibt es eine Stärkung bei einem türkischen Imbiss zu erleben.
Protziger, schneller, druckvoller Prog-Jazz-Rock mit kleinen Atempausen verabreicht „HipHop Anna Ampel - Krieg auf deutschen Straßen“. Danach folgen wieder Eindrücke von einer S-Bahn-Fahrt. Nicht kleckern, sondern klotzen. Diese Devise besteht auch bei „Man nennt sie Nancy“. Kompromisslos brettert das Duo mit Trompeten-Unterstützung voran. Tempo- und Dynamik-Sprünge gehören wie selbstverständlich zu dieser Show. Und etwas Gesang wird auch beigesteuert.
Der Underground-Sound auf „Tante Crystal uff Crack am Reck“ ist ruppig, schräg, verrückt, eckig, provozierend und roh. Die Performance wird flexibel und musikalisch anspruchsvoll umgesetzt. Die Songs sind anstrengend und schwierig zu spielen. Die Musiker meistern diese Herausforderung, da sie großartig aufeinander abgestimmt sind. Trotzdem überträgt sich die mühevolle Intensität manchmal auf den Hörer, der dann genauso heftig gefordert ist, bei der Stange zu bleiben. Das ist auf Dauer nur hartgesottenen Metal- oder Experimental-Rock-Anhängern zuzumuten. Mit mehr Feingefühl ließe sich die Aufmerksamkeitsspanne erhöhen, ohne dabei den subversiven Charakter aufgeben zu müssen. Ja, die beiden Sonderlinge sollen unangepasst sein, abseitige Ideen ausleben, dabei überraschen und sogar provozieren. Mit zusätzlichem Charme und Entertainment-Geschick könnten unvorbereitete Hörer besser mit der manchmal angespannten Situation umgehen.

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