Tom Liwa - Ganz Normale Songs (2018)

Tom Liwa ist eine Liedermacher-Institution. Er entwirft „Ganz normale Songs“, die weit über das Gewöhnliche hinaus gehen und immer wieder erstaunliche Überraschungen parat haben.
1985 gründete Thomas Greiner, der sich fortan Tom Liwa nannte, die Band Flowerpornoes und seitdem tummelt er sich unregelmäßig – mal mit Ensemble, mal Solo – auf den Konzertbühnen des Landes oder lässt seine Platten für sich sprechen. Und er hat viel zu erzählen. Alltägliches und Philosophisches werden bei ihm poetisch oder in Klartext formuliert. Liwa ist aber nicht nur Musiker, sondern auch Maler und Schriftsteller. Musikalisch hat er alles zwischen laut und leise ausprobiert, was sich in sein unkonventionelles Liedermacher-Gerüst einbauen ließ, so dass man ihn am treffendsten als freischaffenden Künstler bezeichnen kann. Ganz wichtig ist ihm auch eine gewisse universelle Spiritualität, die seine Weltanschauung beeinflusst.
Ganz Normale Songs - Tom Liwa: Amazon.de: Musik
Die lakonisch-natürliche Stimme von Tom Liwa, die sofort zum konzentrierten Zuhören animiert, ist auch auf dem 25. Album so präsent wie immer und gibt der verhaltenen Country-Folk-Ballade „Schuld“ und dem etwas lebhafteren „Dope“ eine emotionale Verbindlichkeit sowie eine eindeutige akustische Ausrichtung. Tom ist ein Original mit unverkennbarer Ausstrahlung und Ästhetik, der hier seine zurückhaltende Seite demonstriert. Den Dreh- und Angelpunkt bildet bei beiden Aufnahmen eine ländliche, entspannte Atmosphäre, wie sie ähnlich auch bei Neil Youngs „Harvest Moon“ entstanden ist. „Meistens“ wird dann als Minimal-Art-Pop dargeboten, während es bei „Ego“ monotonen und unruhigen Indie-Rock zu hören gibt.

Das cool schwingende „Witz“ lässt als auffallendes Stilmittel rituale Gesänge dezent anklingen. Für „Yoga“ steht dieses Ausdrucksmittel später in voller Blüte. Das ist allerdings nicht Jedermanns Sache. Der psychedelische, federnde, lässige Space-Rock „Leute“ wird auf über sieben Minuten Laufzeit ausgedehnt und ist trotzdem nicht langatmig, denn der Track läuft hypnotisch-gleichmäßig und dennoch spannend ab. „Feuer“ klingt wie eine Referenz an den rumpelnden Country von Fink, der Band des viel zu früh verstorbenen Hamburger Musikers Nils Koppruch.
Bodenständig, alltagstauglich und nachdenklich schildert Tom im leisen Folk-Jazz „OK“ die Situation, wenn in einer Beziehung die Aufmerksamkeit für den Partner nicht vorhanden ist, wenn er sie grade am Dringendsten benötigt. Die Wiederholung des Refrains wird bei „Unisex“ übertrieben, auch melodisch kann das Lied nicht überzeugen. Musikalisch ist es an die frühen Folk-Punk-Sachen von Billy Bragg angelehnt, es fehlt aber an deren Durchsetzungskraft. „UFO“ bildet schließlich einen milden, unspektakulären Abschluss des Albums.
Liwa, der beinahe aufgrund von Zweifeln am System seine Sanges- und Kompositionskunst an den Nagel hängen wollte, greift jetzt wieder nach den Sternen, misst sich mit den besten Songschmieden im Lande und sorgt so für eine gesunde Konkurrenzsituation. Tobias Levin (TocotronicKanteGisbert zu Knyphausen) unterstützt die hochgesteckten Ambitionen des eigenwilligen Musikers mit einer sauberen, straffen Produktion. Nur zweimal schwächelt Tom Liwa in Punkto Songwriting und Präsentation. Ansonsten enthält „Ganz normale Songs“ ein paar der besten Einfälle seiner langen Karriere („Schuld“, „Meistens“, „Witz“, „Leute“, OK“), die so klar und präzise dargereicht werden, wie es die jeweils nur aus einem Wort bestehenden Titel schon andeuten. Die neuen Lieder sind ein wichtiges kreatives Gedanken- und Kompositions-Bollwerk gegen die eintönige, pseudo-empfindsame Deutsch-Pop-Sauce, die derzeit die Charts überflutet. „Ganz normale Songs“ wird übrigens noch durch ein Buch gleichen Namens begleitet, bei dem elf Künstler die Lieder des Albums in Form von Fotografien, Zeichnungen, Collagen und Comics interpretieren.

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