Francobollo - Long Live Life (2017)

Öffentliches lernen: Das Studioexperiment der Exil-Schweden läuft nicht durchgängig stabil ab und gerät auch schon mal außer Kontrolle.
Francobollo ist ein Indie-Rock-Quartett aus Schweden. Die Musiker haben jedoch ihren Lebensmittelpunkt in London gefunden und sich einen italienischen Band-Namen zugelegt, der übersetzt Briefmarke heißt. Mit „Long Live Life“ liefert die Gruppe jetzt nach der EP „Wonderful“ aus dem November 2016 ihr Debütalbum ab.
Francobollo: Long Live Life (Kritik & Stream) - Musikexpress
„Worried Times“ lässt den New Wave-Rock und -Pop der 1980er Jahre in vielen Facetten wieder aufblühen. Holprig, ûberdreht, schrammelnd und ausgelassen bewegt sich das Stück durch eine musikalische Welt, die es in einer solchen Zusammensetzung selten in nur einem Song gab.

„Good Times“, „Trees“ und „Waiting“ offenbaren eine Vorliebe für die schroffe Seite von Nirvana und einen Hang zur leichten Schräglage von Pavement. Außerdem werden Energieschübe in der ungestümen Art und Weise der Pixies eingesetzt.
„Wonderful“ übt sich zunächst in 60s Folk-Pop-Wohlklang, klingt aber eher wie eine Parodie des Stils und weniger wie eine Verbeugung vor alten Helden. Zu dem Song existiert übrigens ein ulkiges Video, in dem ein Schamhaarknäuel (!) zum Leben erweckt wird. Die nüchterne Ballade „USO“ ist wohl der am straffsten organisierte Song des Albums. Bei „Kinky Lola“ wird der Song-Titel auf Stinky Cola gereimt. Musikalisch bedient sich der Freak-Rock bei Elementen aus „Here Come The Warm Jets“, dem ersten Solo-Album von Brian Eno aus 1973.
„Future Lover“ bewegt sich zäh, ruppig und ruckelnd. Die gar nicht üble Tonfolge bekommt jedoch keine echte Chance zur Entfaltung und auch der eckig-provokative Punk-Rock von „Radio“ ist nicht unbedingt radiotauglich, da er kein tragfähiges Melodiegerüst bietet. Bei „Sense“ werden immer wieder aufrüttelnde Störakkorde verwendet, was den sowieso schon zerfaserten Track zusätzlich hinsichtlich seiner Anziehungskraft belastet. Kantig, aber nicht ohne Reiz läuft das teils rumpelrockige, teils lyrische „You Know This“ ab und „Now“ klingt wie die Skizze zu einem Song, da die Verbindung von E-Gitarre und Gesang unfertig wirkt.
Den Schweden gehen nicht die Ideen aus und sie geben sich redlich Mühe, abwechslungsreich zu sein. Aber sie produzieren auch Stücke, die von Brüchen im Ablauf leben, keinen roten Faden erkennen lassen, sich unausgegoren anhören und einen anziehenden Charme vermissen lassen. Diese Tracks hinterlassen einen nicht genügend durchdachten Eindruck und wollen auch beim wiederholten Hören nicht überzeugen. Trotz des zweifelsfrei erkennbaren Potentials der Band sorgen sie dafür, dass es anstrengend ist, das Album in einem Rutsch durchzuhören. Das ist schade, aber schließlich ist die Alternative zum Mainstream nicht das spontane, ins Leere führende Experiment, sondern die phantasievolle, überraschende, anregende, packende, außergewöhnliche und gehaltvolle Komposition.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf