Trentemøller - Lost (2013)

Anders Trentemøller geht neue Wege. Er verwendet Dance-Music-Themen, bewegt sich aber auch in Independent-Rock-Gefilden und ist auch nicht abgeneigt, klassische Songwriter-Strukturen einzubinden. Von Haus aus ist der Däne Techno- und House-Music-Produzent sowie Remixer. Er tummelt sich also hauptsächlich in der Dancefloor-Club-Szene. Bisher wurde man auf ihn durch etliche Singles und EP`s, zwei Volle-Länge CDs und einige Compilation-Beiträge aufmerksam. Darunter seine Zusammenstellung für die LATE NIGHT TALES-Reihe, die sein weites Spektrum zeigt. Hier findet man 60er Jahre Girlgroup-Sound (Remember von den Shangri-La`s) neben Velvet Underground. Und ein introvertierter Songwriter wie M. WARD wird zwischen allerlei sphärischen, atmosphärischen Klängen und dunklen Indie-Rock-Beigaben platziert. Besonders reizvoll ist dabei seine eigene geheimnisvolle Cover-Version von CHRIS ISAAK`s BLUE HOTEL. 

Eine besondere Verbindung hat er anscheinend zu den Slow-Core-Musikern von LOW. Diese berücksichtigt er in seinem LATE NIGHT TALES Mix und sie begleiten ihn auch im Eröffnungstrack von LOST (THE DREAM). Das Ergebnis hätte auch ohne negativ aufzufallen, auf einem LOW-Album untergebracht werden können. Hier herrscht tempomäßig zunächst fast Stillstand, die Atmosphäre ist überwiegend düster. Glockenähnliche Effekte hellen das Bild ein wenig auf und die Geschwindigkeit wird im Verlauf immer mal wieder etwas angezogen, versinkt dann aber erneut in Tristesse. Schon der nächste Titel GRAVITY deutet die andere Seite von Trentemøller an. Im Hintergrund des verhaltenen Gesangs der Gastsängerin JANA HUNTER von LOWER DENS geben maschinenartige Rhythmus-Verzierungen den Takt an. Das wirkt wie eine Light-Version moderner House-Music-Tracks, die auch Indie-Rock-Jüngern gefallen kann. Beim instrumentalen STILL ON FIRE kommen die elektronischen Zutaten heftiger zum Einsatz. Der Rhythmus ist brutal hart und wird stoisch eingesetzt. Man hat daher den Eindruck, dass ein früher Einfluss für Trentemøller NEW ORDER gewesen sein könnten. Jeder gute DJ weiß, dass er nicht ständig auf Volldampf fahren darf. Dementsprechend folgt mit CANDY TONGUE eine Nummer, die im Grunde genommen besinnlich ist, zum Ende hin aber an Druck und Dramatik gewinnt. Gesanglich wird die Komposition hauchzart und bestimmend von MARIE FISKER unterstützt.

Den Spagat zwischen dröhnenden, hoch pulsierenden Dancefloor-Takten in LCD SOUNDSYSTEM-Nähe und beinahe meditativen Szenarien zieht Trentemøller über das gesamte Album durch, ohne dass der Spannungsbogen in sich zusammen fällt. Der Reiz liegt in den jeweils abgeänderten Formen der Darstellung. Das Album ist gespickt mit verschiedenen Gesangsgästen. Diese tragen genauso zur Abwechslung bei, wie die Variationen bei der Rhythmus-Begleitung. Trentemøller versucht stimmungsmäßig zwei völlig verschiedene Welten miteinander zu verbinden. Die kühle, berechnende, exakte Elektronik mit der emotionalen, akustischen, warmen, verletzlichen menschlichen Seite. Und wer die Lust und die offenen Ohren hat, Neuland zu entdecken, der wird auf einen anregenden Erfahrungsaustausch mitgenommen.

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Man hat aber den Eindruck, dass LOST erst den Anfang einer Entwicklung aufzeigt, denn es ist noch nicht alles voll ausgegoren, was man hier hört. Das zeigt sich zum Beispiel an dem mit über 13 Minuten doch zu lang geratenen HAZED. Hier geht der Spieltrieb mit dem Musiker durch. Weniger wäre mehr gewesen, denn die verwendeten Ideen reichen nicht aus, um die Aufmerksamkeit über die gesamte Zeit aufrecht zu halten. Aber alleine der Versuch, stilbildend tätig zu werden, trotz der Gefahr, sich zwischen alle Stühle zu setzen, nötigt Respekt ab.

Konzeptionell orientiert sich LOST an solchen zerrissenen Übergangsalben wie ANOTHER GREEN WORLD des ROXY MUSIC-Gründungsmitglieds BRIAN ENO. Dieser kombinierte bei seiner Musik poporientierte Songs mit instrumentalen Miniaturen und elektronischen Klangtapeten. Jene Experimente führten ihn später zur Entwicklung des Ambient Sounds. Trentemøller erschafft Ähnliches, indem er dunkel schimmernden Songs eine Mischung aus pochenden, aber nicht überkochenden Dancefloor-Beats und cineastischen Soundlandschaften gegenüberstellt. Womöglich befindet sich der Künstler auch auf dem Weg zur Entwicklung eines neuen Stils. 

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