Rebekka Karijord - Mother Tongue (2017)

Rebekka Karijord verarbeitet auf „Mother Tongue“ traumatische Zeiten.
„Mother Tongue“ entstand aus der Situation heraus, dass die Tochter von Rebekka Karijord drei Monate vor dem eigentlichen Termin geboren wurde. Die Geburt und die Zeit danach waren durch Sorgen, teilweise Hilflosigkeit, damit verbundene Überforderung und Verstörung, aber auch durch die tiefe Verbundenheit mit dem zarten, hilfsbedürftigen Nachwuchs bestimmt. Die Norwegerin, die in Schweden lebt, teilte sich ihrem Baby durch Gesang mit, um die Beziehung aufzubauen. Das Frühchen verbrachte lange Zeit im Krankenhaus auf einer speziellen Station und war wegen der notwendigen blinkenden und piepsenden Armaturen und der Isoliervorrichtungen oft vom direkten Kontakt mit der Mutter getrennt. In dieser Zeit entstanden viele Texte und Einfälle, die die Grundlage zu diesem persönlichen, vielleicht sogar therapeutischen Album bildeten.
Mother Tongue - Rebekka Karijord: Amazon.de: Musik
„Morula“ schickt sich an, gute Geister zu beschwören, denn es werden Sound-Landschaften aufgebaut, die beschwichtigen und beruhigen. Auch „Waimanalo“ wird von Frau Karijord mit ihrer hellen, klaren Stimme auf eine überirdische Ebene gehoben. Die Harmonien scheinen aus Fabel- oder Fantasy-Welten zu stammen. Fremdartige, ethnische, uralte Folklore mit Innuit-Gesängen, also Laute, die aus einer uns nahezu unbekannten Kultur kommen, bestimmen das kurze „I Will Follow You Into The Wild“. Als Kontrastprogramm dazu präsentiert „The Orbit“ dann schlagerhaften Pop.
„Your Name“ klingt ernsthaft, traurig und intim und „Six Careful Hands“ ist wieder eher romantisch geprägter Pop, der an Sally Oldfield erinnert. So unschuldig, aber auch unnahbar hört sich das Lied an. Für den Nordic-Folk-Pop „Home“ perlen die Keyboards munter und lassen Töne frostig klirren.

Ein kräftiger Jazz-Bass sorgt bei „Stones“ für Bodenhaftung. Die zunächst seriöse, nachdenkliche Stimmung wird allerdings durch Musical-artige, aufhellende Auswüchse zunichtegemacht. Auch „Statistics“ lässt den Ernst der Erlebnisse von Rebekka erahnen und bleibt in einer andächtigen Festtagsstimmung gefangen.
Der Song „Mother Tongue“ vermittelt auch belastende Gemütszustände, gesanglich wird er aber zu süß begleitet, um echtes Leid zu transportieren. Andächtig und sakral kommen bei „Mausoleum“ Demut und Dankbarkeit zum Vorschein. Die Musik ist weitgehend auf mehrstimmigen Gesang reduziert, der ehrwürdig und gläubig klingt. „Mother Tongue“ kann nicht immer hinsichtlich der erzeugten Schwingungen Rückschlüsse auf die durchlebte emotionale Ausnahmesituation vermitteln. Rebekka bewegt sich in einem Klangbereich, der eher Gefühle verhüllt und verklärt und somit in einem vernebelten Zustand belässt, als sie klar auszudrücken. Es entsteht häufig Distanz und die Wirklichkeit wird in eine Scheinwelt überführt. Die esoterische Verblendung versperrt dann die direkte Sicht auf die beschwerlichen, angsterfüllten und unsicheren Umstände.
Der Umgang mit „Mother Tongue“ ist also nicht einfach: Überall lauern kreative, hochmusikalische Ansätze, die in ein stark entwickeltes Feingefühl verpackt werden. Wenn dann aber der märchenhafte skandinavische Feengesang im entrückten Nordlicht flackert und sich das Lied in der Stratosphäre auflöst, fehlt das Fundament für eine glaubwürdige Übermittlung menschlicher Emotionen. Musikalisch kann das Ergebnis dann vielleicht immer noch für Fans von Celine Dion oder Enya Sinn ergeben, aber eben nicht für den Musik-Freund, dem unverhüllt und offen präsentierte Geschehnisse wichtig sind.
Wenn Rebekka Karijord jedoch soliden Folk verwendet oder jazzige Untertöne einbaut, gewinnen die Kompositionen sofort an Reiz und bekommen spannende Konturen. Aktuell wird die aufkommende dunkle Schönheit allerdings tendenziell zu üppig mit Puderzucker-Wohlklang bestrichen.

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