Waiting For Louise – Treetones (2013)
Setzte das letzte WAITING FOR LOUISE Album ROADSONGS FOR THE BUSINESS CLASS von 2010 bei mir noch einen Schwall von Assoziationen frei, so ringe ich bei TREETONES damit, die Aufnahmen in einen Zusammenhang im Pop-Universum zu bringen. Zu eigenständig, unabhängig und beständig gereift ist die Band, um sich plump zu- und einordnen zu lassen. Bisher konnte man sich immer noch mit „Americana im weitesten Sinne“ herauswinden, wenn es um eine schnelle Beschreibung gehen sollte. Aber TREETONES sprengt selbst solch eine weit gesteckte Markierung.
W4L bestand bei den neuen Aufnahmen aus Mastermind
MICHAEL MANN (Gesang, akustische und Bariton-Gitarre, Banjo, Mundharmonika und
Harmonium), DETLEF GOCH (Drums & Percussion), JOHANNES LEHMANN (Bass) und
UTE RETTLER (akustische und elektrische Gitarren und Mandoline). Ein
eingespieltes Team von Amateurmusikern, die wie Vollprofis klingen. Harmonisch,
akzentuiert, flexibel und kreativ schaffen sie Stimmungsbilder, die anregend
sowie phantasie- und geschmackvoll umgesetzt werden. Eigentlich verbietet es
sich, dieses Gesamtkunstwerk durch profane Worte zu sezieren, denn das
Konstrukt wirkt unantastbar. Andererseits ist es ein Genuss, über diese Musik
zu philosophieren, weil sie so tief berührt und so inspirierend aufgebaut ist.
Die selbstgebrannte CD umfasst 7 Lieder in 45
Minuten. Man lässt sich also Zeit bei der Umsetzung und spielt alle Trümpfe aus,
die unabhängig tätige Musiker ausspielen können. Die Band ist keinem Druck und
keinen externen Verpflichtungen ausgeliefert. So muss das Ergebnis nur den
eigenen Qualitätsansprüchen genügen und die sind aufgrund des großartigen
Back-Kataloges enorm.
Und trotzdem hat das Musiker-Kollektiv mal wieder
alles richtig gemacht. Bei SOME PEOPLE fügen sich alte Texte mit neuen Ideen zu
einer Geschichte, die aus zwei Blickwinkeln erzählt wird, zusammen. Auch die
Musik schöpft aus verschiedenen Quellen. Leichte Jazz-Tendenz herrscht beim
Rhythmus vor. Die Melodie hat ihre Wurzeln im Folk, lotet aber die Grenzen
dieses Stils großzügig aus.
Die Geschichte eines nur suboptimal abgelaufenen
Rendezvous erzählt augenzwinkernd BALLAD OF BLITZEN TRAPPER & THE SCORPIONS.
Die gewählte musikalische Untermalung entzieht sich herkömmlichen
Kategorisierungen. Das Erzählerische steht im Vordergrund. Die Band unterstützt
dies mit Gitarrenspuren, die sowohl im Psychedelic- wie auch im Alternative-Rock
zuhause sein könnten. Das Glockenspiel sorgt für eine aufhellende Komponente
bei dieser ernsthaft vorgetragenen Geschichte.
Mit SONG TO A TATTLER covern sich W4L selbst. Das
Lied wurde schon 2008 auf dem Album NEW TRICKS FOR OLD DOGS veröffentlicht. Sie
geben dem Song eine vollständig neue Ausrichtung, so dass man zunächst nur am
Text erkennt, dass es derselbe Titel ist. Der ursprünglich akustisch ausgelegte
dynamische Folk-Song bekommt in der Überarbeitung eine elektrische Basis und
mutiert dadurch zu einem flirrenden Klanggebilde. Das ist die hohe Kunst der Interpretation,
solch einen Abstand zum Original zu finden.
SEQUOIA TREE verarbeitet Urlaubseindrücke, die
MICHAEL MANN im Sommer 2012 im Sequoia-Nationalpark in Kalifornien sammeln
konnte. Er besuchte den dort vorzufindenden General-Sherman-Mammut-Baum, der
der voluminöseste lebende Baum und damit das größte Lebewesen der Erde ist. Sein
Alter wird auf über 2.000 Jahre geschätzt. Dieses Erlebnis führte dazu, dass
sich der Text zu einer Musik, die schon fast fertig war, fast wie von selbst
gesellte. Das Ergebnis ist ein grandioser psychedelischer Folk-Song, wie er
eindringlicher auch nicht an der Westküste der USA Ende der 60er Jahre von
GRATEFUL DEAD oder DAVID CROSBY hätte erfunden werden können. Mindblowing!
TALKING BIG hat auch schon eine längere Geschichte
im Songbook von MICHAEL MANN hinter sich. Der Song stammt von seinem
Blues-Rock-Nebenprojekt mit dem Namen RUSTY NAILS und erblickte schon 1992 das
Licht der Welt. Der im Original überhitzte, schnelle New-Wave-beeinflusste Song
wurde hier drastisch entschleunigt und bekommt als Folk-Rock im Walzertakt eine
neue Identität.
Verlorene Banjo-Klänge und Regen-Geräusche leiten das
melancholische I LOVE THE RAIN ein, das auch aufgrund von Inspirationen auf der
USA-Reise entstand. Würde T-BONE BURNETT die Gruppe WAITING FOR LOUISE kennen,
hätte er sie sicher alleine aufgrund dieses Titels zu den Sessions zum Film INSIDE
LLEWYN DAVIS eingeladen. So authentisch, mit so viel Lebensgefühl variieren sie
hier US-Folklore.
Das autobiographische Lied AMSTERDAM RECORD SHOP erinnert
an die Zeit, als es noch individuell ausgestaltete Plattenläden gab, die die
musikalische Sozialisation von Musikfreunden nachhaltig prägten. In über 9
Minuten schwelgt die Band in Erinnerungen. Das Werk ist dabei keine Sekunde zu
lang, sondern verbreitet ein angenehmes laid-back-Feeling. Der Bass brummelt
wohlig und sparsame Percussion hält die Spannung am köcheln. Die stoische
Akustik-Gitarre sorgt für einen Wiedererkennungswert und die elektrische
Gitarre setzt einen strahlenden, entspannten Hintergrund. Das zeigt Geschmack
und hat Stil.
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