Paul Simon - Original Album Classics (2015)
Wer sich günstig einen Ausschnitt aus dem Schaffen von Paul Simon zulegen möchte, liegt mit den neuen Original Album Classics richtig.
Im Januar 1972 erschien Paul Simons erste Solo-Platte nach dem Split von Simon & Garfunkel, die einfach „Paul Simon“ betitelt wurde. Und man spürt, dass seine ganze Energie, sein Herzblut und seine volle Aufmerksamkeit in die Produktion eingeflossen sind. Die Songs sollten schwerelos erscheinen, nichts durfte angestrengt oder gar abstrakt klingen, denn er wollte eine emotionale Balance zwischen Anspruch und Unterhaltung schaffen. Die Weiterentwicklung von Paul Simon zeigte sich unter anderem daran, dass er den Begriff Folk-Rock universell sah und damit schon früh die sogenannte Weltmusik in seine Kunst einbezog und populär machte: „Mother And Child Reunion“ ertönt im Reggae-Rhythmus und bei „Duncan“ werden Panflöten eingesetzt. „Me And Julio Down By The Schoolyard“ hat eine heitere, lateinamerikanische Ausstrahlung und „Hobo`s Blues“ ist ein kurzes Gypsy-Swing-Instrumentalstück, das unter Mithilfe des Jazz-Geigers Stephane Grappelli entstand. Es gelangen auch weitere unverkrampfte, eingängige, mit leichter Hand, aber mit Raffinesse umgesetzte, wie beiläufig hingetupfte Songs („Everything Put Together Falls Apart“ und „Run That Body Down“), die in Zukunft zum Markenzeichen des sensiblen Komponisten werden sollten. Sein Können auf der akustischen Gitarre demonstriert der Top-Songwriter besonders vortrefflich bei „Armistice Day“.
Paul singt stets mit milder, ausgeglichener, frei fließender, nie aggressiver, aber bemerkenswert akzentuierter Stimme, die sofort sympathisch wirkt und sich ganz an den Flow der Lieder anschmiegt. „Peace Like A River“ ist hierfür ein Musterbeispiel. Selbst beim mit gleißender Slide-Gitarre und monoton stampfenden Drums unterlegten „Paranoia Blues“ lässt sich der nachdenkliche Künstler nicht aus der Reserve locken. Die Interpretationen bleiben stets überlegt und abgeklärt. Bei den Texten hat sich der studierte Rechtswissenschaftler übrigens von viktorianischen Balladen, den Romanen von James Joyce, Kritzeleien an Pissoirwänden und vom Reimlexikon anregen lassen.
Im Mai 1973 erblickte „There Goes Rhymin` Simon“ das Licht der Öffentlichkeit. Das Album zeigte einen um Harmonie bestrebten, ambitionierten Musiker, der gefühlvollen Perfektionismus vorstellt. Die Stimmung ist häufig gelöst und Simon probiert ein neues Umfeld aus. So sind sechs Songs in den berühmten Muscle Shoals Sound Studios in Alabama aufgenommen worden. Hier bekamen schon viele Größen, wie Aretha Franklin, Wilson Pickett, The Staple Singers, Lynyrd Skynyrd sowie Bob Dylan und die Rolling Stones einen erdigen, seelenvollen, von der schwarzen Musik der Südstaaten geprägten Sound verpasst. Paul macht aber auch manchmal nicht vor kitschiger Sentimentalität halt, wie „American Tune“ oder „Was A Sunny Day“ zeigen. Aber „There Goes Rhymin` Simon“ ist unterm Strich trotzdem ein überdurchschnittlich gutes Werk geworden, sowohl musikalisch wie auch textlich. Beim lockeren Opener „Kodachrome“ geht es darum, dass Fotos die Wirklichkeit häufig in schöneren Farben darstellen, als sie tatsächlich ist. Leider hatte der Verfasser nicht beachtet, dass „Kodachrome“ ein geschützter Markenname ist und deshalb wurde das Lied bei der BBC wegen Schleichwerbung nicht gespielt. „Learn How To Fall“ hat ein kurzes, aufgekratztes, an Jerry Garcia von Grateful Dead erinnerndes E-Gitarren-Solo, das dem leicht verschlafenen Track Farbe verleiht. Simon`s Spiel mit Pop-Zitaten ist ebenso charmant wie clever. So huldigt er beispielsweise stilsicher dem mehrstimmigen Doo-Wop-Gesangsstil aus den 50er Jahren, einer frühen Erfahrung in seiner Laufbahn („Loves Me Like A Rock“).
1983 erschien „Hearts And Bones“, das sich damals schlecht verkaufte, was aber nicht an der Qualität lag, denn es ist eines der persönlichsten und ambitioniertesten Alben des Künstlers geworden. Die LP war als Simon & Garfunkel-Co-Produktion geplant. Nach Streitereien zwischen den beiden nahm Paul die Songs jedoch nochmal neu ohne Garfunkel auf, obwohl die gemeinsamen Einspielungen schon fertig waren. Er veröffentlichte die Musik schließlich, ohne dafür Werbung gemacht zu haben. Jedes Lied beinhaltet delikate Kabinettstückchen. So hat der Jazz-Rock-Gitarrist Al DiMeola beim ersten Song „Allergies“ die Gelegenheit, seine Fingerfertigkeit mit einem Hochgeschwindigkeits-Solo unter Beweis zu stellen.
Eine E-Piano-Grundierung, Vibraphon-Tupfer und weiche Background-Stimmen sorgen bei „Train In The Distance“ für ein wattiges, locker-luftiges Gefühl. Das Album wurde sehr geschmackvoll zusammengestellt und sorgfältig in Szene gesetzt. Es hat etliche Stimmungs- und Tempowechsel und ist trotzdem konzeptionell rund.
1990 reifte bei Mr. Simon die Idee, die Geschichte von Salvador Agron zu einem Musical zu verarbeiten. Agron, der als 16jähriger zum Doppelmörder geworden war, entwickelte sich während seiner Haftzeit vom kaltblütigen Gewalttäter zum Poeten und Sprachrohr seiner Mitgefangenen. Zusammen mit dem Drehbuchautor und Texter Derek Walcott schrieb Simon darüber die Broadwayproduktion The Capeman, die über 11 Millionen Dollar verschlang. Sie wurde aber schon nach 3 Monaten mangels Zuschauerzuspruch wieder abgesetzt – ein finanzielles Desaster. Die CD-Version des Musicals von 1997 („Songs From The Capeman“) ist für Paul Simon-Verhältnisse eher dürftig ausgefallen, da sie musikalisch zu gefällig und durchschaubar geriet.
Lenken wir unsere Aufmerksamkeit lieber auf das nächste Projekt, das erst drei Jahre später, nämlich im Jahr 2000 erschien. „You`re The One“ ist eine bedächtige Bestandsaufnahme und eine Liebeserklärung an die Sängerin Edie Brickell, mit der Paul bis heute verheiratet ist. Diese Aufnahmen zeigen ihn als reifen Sound-Architekten, der innehält und die Erfahrungen seines Lebens Revue passieren lässt. So finden sich hier neben Folk-Songs auch rhythmische Ausflüge nach Afrika und in die Karibik.
Als Original Album Classics wurden hierzulande schon mal drei Paul Simon-Werke präsentiert, nämlich „Songs From The Capeman” (1997), „You´re The One” (2000) und „Surprise” (2006). Da stellt sich natürlich die Frage, warum zwei davon jetzt schon wieder unter derselben Bezeichnung verpackt wurden. Es gibt schließlich genügend andere Werke des Künstlers beim selben Label, die man hätte heranziehen können. Das schmälert natürlich nicht die Leistung von Paul Simon, stellt aber die Veröffentlichungspolitik in Frage. Es gibt vielfältige Werkschauen des etablierten Musikers, die entweder das gesamte Solo-Werk abdecken („Complete Albums Collection“, 2013) oder Karriere-Highlights herausheben („Over The Bridge Of Time: A Paul Simon Retrospective (1964-2011)“, 2013). Die neue Original Album Classics-Box, die die klanglich überarbeiteten CDs mit Bonus-Tracks enthält, ist also eher an Käufer gerichtet, die einen preislich günstigen Einblick in das Schaffen des Musikers erhalten möchten.
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