Peter Hammill / Gary Lucas - Other World (2014)

Unkonventionelle Töne von zwei altgedienten Art-Rock-Künstlern.
Hier treffen sich zwei innovative Veteranen, die eine bewegte musikalische Vergangenheit hinter sich haben. Sie haben sich im Laufe ihrer Karrieren immer stilbildend und innovativ betätigt, sind aber trotzdem von der breiten Öffentlichkeit nicht gebührend wahrgenommen worden.
Peter Hammill gründete Ende der 60er-Jahre die Art-Rock-Formation Van Der Graaf Generator. Diese Gruppe hat nicht nur aufgrund ihrer ungewöhnlichen Zusammensetzung (Gesang/Gitarre/Piano, Orgel, Saxophone/ Flöten, Drums/Percussion) für Aufsehen gesorgt, sondern auch wegen ihrer intelligenten, verschachtelten, dynamischen und hochemotionalen Vorgehensweise. Dadurch hat sie einzigartige, nicht eindeutig zuzuordnende Sounds zustande gebracht. Hammill veröffentlicht bis heute auch immer wieder Solo-Alben, mittlerweile insgesamt über 50 Stück! In den 70er- und 80er Jahren schuf er mit seiner Band und unter eigenem Namen zahlreiche zeitlose Klassiker, die unter Experten zu Recht als wegweisende Musik angesehen werden. So hat er mit seinem Album „Nadir`s Big Chance“ von 1975 die britische Punkwelle vorausorakelt. Man achte hier auf den Rhythmus der rockigeren Songs, denn davon haben die Sex Pistols erfolgreich abgeschaut. Werke wie „The Future Now“ von 1976 brachten ihm später das Etikett „New Wave-Pionier“ ein. Ab den neunziger Jahren wurden seine Kreationen immer individueller und komplizierter. Nur noch beinharte Fans konnten und mochten ihm inhaltlich und musikalisch folgen.
Ab und an wagte er sich auch an Duo-Aufnahmen. Wie mit seinem Van Der Graaf Generator-Kollegen Guy Evans am Schlagzeug („Spur Of The Moment“ von 1991), seinem Geigen-Partner Stuart Gordon („Veracious“, live 2006) oder bei „The Appointed Hour“ von 1999 mit Roger Eno, dem Bruder von Brian Eno (ex-Roxy Music). In der Regel waren das instrumental dominierte Angelegenheiten in Jazz- und Avantgarde-Nähe.
Peter Hammill & Gary Lucas - Other World - Vinyl LP - 2014 - EU ...
Sein Partner Gary Lucas blickt auf eine Zusammenarbeit mit Don van Vliet alias Captain Beefheart als Magic Band-Mitglied in den 80er-Jahren und mit Jeff Buckley, dem leider auch schon verstorbenen Sohn von Tim Buckley als virtuoser und phantasievoller Gitarrist zurück. Außerdem kann er auf eine ansehnliche Anzahl von Solo-Arbeiten, die er seit den 90er-Jahren mit Gastmusikern wie Matthew Sweet eingespielt hat, zurückblicken.
Offensichtlich hat die Zusammenarbeit beiden Musikern gut getan. So wirkt Hammill aufgeräumt und fokussiert, wie schon lange nicht mehr. Das neue Album „Other World“ beherbergt acht Kompositionen mit Gesang sowie sechs experimentell-lautmalerisch-verspielte Instrumental-Titel. Peter Hammill ist immer noch sensationell gut bei Stimme und er spielt seine künstlerischen und kreativen Qualitäten wieder voll aus. Er war schon immer bekannt dafür, sämtliche emotionalen Lagen mit seinem einzigartigen Gesang ausloten zu können. Diese Fähigkeit nutzt er auch hier, um den Kompositionen Tiefe, unverfälschte Emotionen und Dramatik zu verleihen.
Gary Lucas ist ein perfekter, einfühlsamer Partner für den eigensinnigen Mr. Hammill. Die beiden interagieren so, als würden sie schon Jahre zusammenspielen. Dabei haben sie sich erst im Januar 2012 in Hammills Heimstudio erstmalig zu Aufnahme-Sessions getroffen. Die Akteure brillieren hauptsächlich an unterschiedlich eingesetzten Gitarren. Man hört akustische Gitarren, die elektrisch verstärkt erzählerisch ihre metallischen Akkorde ausbreiten. Dann elektrische Gitarren, die fordernd und druckvoll den Songs Wucht verleihen, sowie fremdartige Töne, die unheimlich und verstörend sein können.
Gitarren, Loops, Geräusch-Kollagen und Stimme, das sind alle Zutaten, mit denen die Tracks auskommen. Wobei Peter Hammills einnehmende, bestimmende Worte das Geschehen beherrschen und unverwechselbar machen. Dass er hier stellenweise zugänglicher agiert als zuletzt, bedeutet nicht, dass er leicht zu konsumieren wäre. Seine Musik nur nebenbei zu hören, verbietet sich seit jeher. Man muss schon konzentriert zuhören, um in seine Vorstellungen eintauchen zu können.
Die Musik weise Elemente einer verzerrten Volksmusik auf, behauptet Hammill. Tatsächlich gibt es Songs („Spinning Coins“, „Of Kith & Kin“, „This Is Showbiz“, „The Kid“), deren Basis auf akustischem Folk beruht. Dieser wird aber individuell umgewandelt, so dass das Ergebnis für den Puristen tatsächlich erscheint, als käme es aus einem anderen Universum. Hammill schert sich nicht um Konventionen und Erwartungen, was besonders bei den häufiger anstrengenden Instrumental-Titeln deutlich wird. In Gary Lucas hat er für die Umsetzung einen Bruder im Geiste gefunden. Die beiden erschaffen freigeistige, sperrige und teils finstere Soundlandschaften von beängstigenden und bedrohlichen Ausmaßen. Peter Hammill gilt als Prophet des Untergangs oder wird auch als Peter Gabriel für Intellektuelle bezeichnet. Diesen Reputationen wird er mit den neuen Aufnahmen wieder vollumfänglich gerecht. Sein Fokus liegt nicht auf ins Ohr gehenden Melodien mit hängenbleibenden Refrains, die die Wunder des Lebens preisen.
Er beschreitet den mühevollen Weg. Textlich und musikalisch geht er dahin, wo es weh tut. Er analysiert Hinter- und Abgründe der Seele, greift sich unbequeme Wahrheiten oder entführt in unbekannte Welten. Seine Ergebnisse werden mit Tönen untermalt, die aufwühlend, eindringlich und stellenweise ungewohnt sind. Aber er belohnt den aufmerksamen Hörer dabei auch mit tiefgreifenden, umwälzenden Erfahrungen und Erkenntnissen. Mit seiner unbeugsamen Haltung sowie seiner ideenreichen Musikalität hat er sich jedenfalls höchsten Respekt verdient. Die aktuelle Zusammenarbeit ist sein überzeugendstes Duo-Werk und ein Beweis für ungebrochene Kreativität.

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