Scott Walker + Sunn O))) - Soused (2014)

Achtung, Kunst! Scott Walker macht es seinen Fans wieder nicht leicht, ist aber zugänglicher als beim Vorgänger „Bish Bosch“.
Neues von einem der großen Exzentriker der Pop-Musik. Geboren als Scott Engel in einer Kleinstadt im Bundesstaat Ohio, wurde der Musiker in den 1960er-Jahren als Mitglied der Walker Brothers zu einem umjubelten und umschwärmten Teenie-Star. Mit Schmuse-Hits wie „The Sun Ain`t Gonna Shine Anymore“ stürmten die falschen Brüder die Hitlisten und konnten sogar die Beatles von der Top-Position verdrängen. Mit wesentlich dunkleren und leidenschaftlicheren Chansons wartete der Mann mit der betörenden, beschwörenden, unter die Haut gehenden Stimme ab 1967 mit LPs unter eigenem Namen auf. Seit 1978 verschwand er nach drei Reunion-Alben mit seinen beiden Fake-Brüdern in der Versenkung. Das letzte Lebenszeichen, das aufwühlende, grandiose, düster-melancholische „Nite Flights“, deutete eine radikale Veränderung, hin zu unkonventionellen, nicht unbedingt charttauglichen Tönen an.
1983 dann die Überraschung: Wie Phoenix aus der Asche tauchte Scott Walker mit dem verwirrend schönen „Climate Of Hunter“ wieder auf und spann den Faden von „Nite Flights“ weiter. Seine danach in größeren Abständen folgenden Arbeiten wurden immer rätselhafter, experimenteller und undurchsichtiger. Auf dem 2006er-Opus „The Drift“ ließ er absurderweise für die Erzeugung eines speziellen Sounds sogar einen Musiker auf ein Stück Fleisch einschlagen. Trotz oder grade wegen der Unberechenbarkeit seiner Ideen zählen seine Aufnahmen zu den Sternstunden avantgardistischer Pop-Musik. Seine flehend-sehnende Stimme, die seine Persönlichkeit auf dem Silbertablett präsentiert, gibt Halt und fügt die sperrigen Klangcollagen zusammen, indem sie melodische Akzente setzt. Mit seinen 71 Jahren sucht er immer noch beständig die Herausforderung, musikalisch neue Wege zu gehen und schert sich dabei nicht darum, Erwartungen zu erfüllen.
Jetzt hat er sich nur zwei Jahre nach seiner letzten Klanginstallation „Bish Bosch“ mit der US-amerikanischen Drone-Doom-Metal-Band Sunn O))) zusammengetan, um erneut eingefahrene Hörgewohnheiten einzureißen. Trotz aller Unterschiede hinsichtlich des musikalischen Werdegangs sind die Musiker Brüder im Geiste, wenn es darum geht, Songstrukturen durch den Wolf zu drehen und zu radikalisieren.
Opernhaft, flankiert von klaren E-Gitarren-Salven, beginnt „Brando“ den mystischen Reigen. Das sich anschließende Dröhnen der Schwermetaller, die Peitschenhiebe von Peter Gamble und die aus dem Dunst auftauchenden Nebel-Pfeifen geben dem Geschehen dann eine bedrohliche Ausrichtung. Scott betätigt sich als Rufer aus der Unterwelt, während die anderen Musiker den Soundtrack dazu abzubilden scheinen. Es entstehen surreale Eindrücke, wie sie nicht einmal David Lynch in seinen Psycho-Dramen erzeugen konnte. Wie der Prediger der Apokalypse agiert Scott bei „Herod 2014“ und Sunn O))) steuert mehrdimensionale Sound-Wände bei, die wie Industrie-Geräusche oder nach urzeitlichen Tieren klingen. Außerdem schreit ein Saxophon wie eine Möwe über einem morbiden Fundament aus Lärm und klagendem Gesang.
Dumpfes, fernes Grollen eröffnet „Bull“, bevor das kontrollierte Chaos über den Hörer hereinbricht. Andacht wird ständig durch Wahnsinn abgelöst. Die letzten fünf Minuten des Tracks gehören ausschließlich einem warmen Brummen. Das ist Musik, die vornehmlich im Dunkeln gehört werden sollte, damit sie ihre ganze Macht, Wucht, verstörende Kraft, sakrale Tiefe, Empfindsamkeit und Zerbrechlichkeit entfalten kann. „Fetish“ ist zerfasert und zerrissen. Die Instrumente und Geräusche sowie der verzweifelte Gesang laufen zunächst asynchron nebeneinander her. Doch die Akteure finden noch zusammen und gehen eine flirrende, metallische Fusion ein.
„Soused“ beherbergt fünf Tracks in 49 Minuten, alle zwischen etwa 9 und 12 Minuten lang. Seit „Climate Of Hunter“ war jede Schlussnummer eine Solo-Angelegenheit. Mit dieser Tradition wird hier gebrochen, denn an der Aufführung von „Lullaby“ ist das gesamte Ensemble beteiligt. Es handelt sich um ein beunruhigendes Wiegenlied, das wie ein Gruß aus dem Fegefeuer für Alpträume sorgen kann. Den Song hat Mr. Walker ursprünglich schon 1999 für den Musical-Star Ute Lemper geschrieben, die ihn nur als Bonus-Track der japanischen Version ihres Albums „Punishing Kiss“ verwendet hat.

„Soused“ ist intensiv, eine Zumutung, unter die Haut gehend, verstörend, monumental, irritierend, aufwühlend, Schädeldecken öffnend, lieblich, leidend und eine Grenzerfahrung. „Soused“ ist unberechenbar wie ein Naturereignis, aber längst nicht so anstrengend wie „Bish Bosch“. Scott Walkers Stimme scheint keinem Alterungsprozess zu unterliegen, denn mühelos nimmt sie sämtliche Klippen. Diese Musik ist mit nichts anderem zu vergleichen. Wenn man sich auf das anspruchsvolle Ereignis einlässt, dann kann es nachhaltig bewusstseinserweiternd wirken. Scott Walker hat wieder ein Monster erschaffen, das in unbekannte Abgründe schaut, aber nicht von ihnen verschlungen wird. „Soused“ ist ein Ausnahme-Album eines Ausnahme-Künstlers.

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