Planeausters - Humboldt Park (2015)

Die Planeausters begeben sich dahin, wo es weh tut, und wachsen mit den gewonnenen Eindrücken.
Die deutsch-österreichischen Planeausters haben in Chicago im Distrikt Humboldt Park unter Anleitung von Brian Leach von den Great Crusades ihr neues Album aufgenommen. Diese Gegend gilt als sozialer Brennpunkt und das dort ansässige Joyride Studio wird hauptsächlich von Bluesmusikern wie Pinetop Perkins gebucht. Deshalb war die Band mit ihrem Folk-basiertem und alternativ motiviertem Rock-Ansatz eher untypisch für dieses Umfeld. Bei ihnen prallt Melancholie auf ein trotziges Widersetzen gegen als widrig empfundene Lebensumstände. Dieser Ansatz traf dann auf die Wirklichkeit aus täglicher Gewalt und Armut, die man in Chicago vorfindet.
Humboldt Park von Planeausters : Napster
Aber die Planeausters stemmen sich gegen den Weltschmerz in ihren Gedanken und sie sind dadurch inhaltlich auch ganz nah am Blues, der den Menschen in seelischen und körperlichen Nöten ein Beistand sein kann. Die Lieder lassen Hoffnung zu, haben einen unnachgiebigen Kern oder verkörpern den Glauben an das Licht am Ende des Tunnels, wobei die Töne lebendig pulsieren und atmen. Die Kompositionen begnügen sich nicht mit gleichmäßig durchlaufenden Mustern. Das lässt sie manchmal unruhig oder unrund erscheinen, löst aber auch eine erhöhte Aufmerksamkeit aus. Schwermut durchzieht die Noten beim folk-rockigen, schleppenden, nachdenklichen „Wouldn't Say It's Over, But It's Gone“. Der mühsam wirkende Trommel-Takt imitiert den Puls einer verletzten Seele. Sänger Michael Moravek findet die richtigen Töne für diese in Tränen gegossene Musik, um Traurigkeit auszudrücken, ohne in Apathie zu verfallen.
Die australischen Go-Betweens - in den 80er-Jahren eine der wichtigsten Folk-Pop-Bands - erscheinen nicht nur bei „Never Forget“ vor dem geistigen Auge. Dieser wortreiche, tückische Song wird von domestizierten Feedback-Schwaden in ein bedrohliches Gewand aus hohen Schwingungen gehüllt.

Auch bei „Stranger In A Stranger's Clothes“ zeigt sich, dass die Australier ihre kreativen Spuren hinterlassen haben. Das Planeausters-Trio tarnt die Schönheit des Songs, indem es die Melodielinien nicht unbedingt offensichtlich aufbaut.
Die stur wiederholten Gitarrenakkorde von „The Golden Days Of Missing You Are Over“ wirken unbeirrbar wie einst die Salven der New Yorker Psychedelic-Punks Tom Verlaine und Richard Lloyd von Television auf ihrem epochalen Album „Marquee Moon“. Der Planeausters-Track bekommt durch den verschlafenen, weniger hektischen Ablauf und das eingebrachte jazzige Spaghetti-Western-Trompetensolo eine abwartende, statt impulsiv drauflos stürmende Grundstimmung. Die Erholungspausen in „Out Of The Deep“ lassen den Orgel-basierten, dylanesken Song freigeistig erscheinen. Das Leben zieht dann auf leichten Schwingen in „When You Were Mine“ vorbei. Genießen und Relaxen stehen im Vordergrund dieses harmonischen Tracks, der die Gruppe in sich ruhend und ausgewogen zeigt.
„Heroine“ hört sich wie die Schnittmenge aus Lou Reed, Bob Dylan und Mike Scott (Waterboys) an. Hier wird eine Synthese aus Folk und Jazz angedeutet, die durch die Bläser in „Never Shall You Die“ fortgesetzt wird. Ein interessanter Ansatz, der den Musikern weitere Ausdrucksmöglichkeiten verschafft. Genauso wie der lockere, luftige, unbeschwerte, leichte, eingängige Folk-Pop-Touch in „Your Birthday Is In Summer“.
Der Ausflug in den Humboldt Park war für Michael Moravek (Gesang, Gitarre, Komposition), Per Ceurremans (Schlagzeug) und William Bruce Kollmar (Bass) eine Forschungsreise, die neue Perspektiven offengelegt hat. Sowohl was die persönlichen Erfahrungen angeht, als auch für die musikalische Weiterentwicklung. Die Früchte daraus können die Musiker womöglich schon im nächsten Anlauf ernten, wenn der alternative Folk-Rock in bisher ungeahnte Richtungen ausgedehnt werden sollte. Das Potenzial dazu haben die Planeausters jedenfalls.

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