Van Der Graaf Generator Merlin - Atmos: Live Performances 2013 (2015)

Die Musik von Van der Graaf Generator ist einzigartig. Das Kollektiv um Peter Hammill wurde auf der 2013er-Tournee mitgeschnitten und präsentiert Band- und Solo-Klassiker sowie neuere Schöpfungen im Trio-Format.

Es wird Zeit, eine Lanze für Van der Graaf Generator zu brechen. Diese Gruppe formierte sich 1967 in Manchester aus der Kunststudenten-Szene. Der Bandname wurde von einem Hochleistungsgenerator, den der Physiker Robert J. Van de Graaff erfunden hat, abgeleitet. Van der Graaf Generator veröffentlichten 1969 ihre Debüt-LP „The Aerosol Grey Machine“, die nur ansatzweise das Potential der Musiker offenbarte. Was sie nämlich später von der Masse der Art-Rock- oder Prog-Rock-Bands abhob, waren ihre kreativen, ereignisreichen Songs, die eine unbändige innere Energie besaßen.
Der Versuch, die Musik von Van der Graaf Generator anhand der herkömmlichen Pop und Rock-Schemen zu beschreiben scheitert, da der Chefdenker Peter Hammill zu den Künstlern gehört, die einen eigenen Stil „erfunden“ haben. Natürlich sind hier Einflüsse von Klassik, Neuer Musik, Jazz, Folk und Rock auszumachen. Aber die Art, wie diese fusioniert werden, ist ungewöhnlich. Hier wird keine leichte Kost geboten, aber die Auseinandersetzung mit der Materie lohnt sich. Hammills Kunst polarisiert, denn die Kombination aus poetischen Momenten und kraftvollen Ausbrüchen, gepaart mit einer intelligenten Melodieführung, einer außergewöhnlichen Instrumentierung und hochemotionalem Gesang ist aufregend und erfordert eine konzentrierte Auseinandersetzung. Diese Geduld kann dann aber mit nachhaltigen, rauschhaften Höreindrücken belohnt werden. Wer mit den Arbeiten von David Sylvian, dem experimentellen Scott Walker, mit Mark Hollis (Talk Talk) oder King Crimson etwas anfangen kann, sollte sich das unbedingt einmal anhören.
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Die ganz große kreative Phase von Van der Graaf Generator und der Solo-Arbeit von Peter Hammill lag in den 70er Jahren. Die Band löste sich 1978 nach mehreren Umbesetzungen auf und fand erst 2004 wieder für die ersten neuen Studio-Aufnahmen seit 1976 zusammen. Das Ergebnis war das Doppelalbum „Present“, das in der Stammbesetzung der Jahre 1975 bis 1976 eingespielt wurde. Diese bestand aus Guy Evans (Drums, Percussion, Electronics), Hugh Banton (Keyboards), David Jackson (Saxophone und Flöten) sowie Peter Hammill (Gesang, Gitarre, Piano). Die Rückkehr auf die Bühne wurde am 6. Mai 2005 mit einem triumphalen Auftritt in der Londoner Royal Festival Hall gefeiert. Seitdem sind die Van Der Graafen wieder aktiv, sowohl im Studio als auch auf der Bühne. Leider verabschiedete sich David Jackson aus der Clique, so dass ein wichtiger Bestandteil des typischen Sounds verloren ging. Aber das verbliebene Trio versucht wacker, diesen Verlust zu kompensieren. Seit der letzten Wiederbelebung der Band sind offiziell und semi-offiziell die Konzert-Mitschnitte des Comebacks („Real Time“, 2007), „Live At The Paradiso 14.04.07“ (2009) und „Recorded Live In Concert At Metropolis Studios, London“ (2012) erschienen. Diese Aufnahmen zeigen versierte Musiker, die ihre komplexen Stücke energievoll, dynamisch, aber nicht fehlerfrei umsetzen. Erstaunlich ist, wie großartig der bereits 66-jährige Peter Hammill noch bei Stimme ist und wie kompromisslos er weiter seinen unangepassten Weg beschreitet.
Die neuen Live-Aufnahmen sind eine Zusammenstellung von der 2013er Europa-Tournee und bieten sowohl Van der Graaf Generator-Klassiker und neuere Stücke wie auch Songs aus dem Hammill-Solo-Output an. Dazu gehört auch der mehrteilige Eröffnungs-Track „Flight“, der ursprünglich vom Album „A Black Box“ von 1980 stammt und damals eine ganze Plattenseite einnahm.
Der Abschluss-Track der Standard-Version des Konzertmitschnitts stammt auch aus dem Solo-Repertoire von Peter Hammill. „Gog“ ist ein aggressiv brennendes Stück vom 1974er Album „In Camera“, das auch hier unbarmherzig vorgetragen wird. Die aus neuerer Zeit stammenden Beiträge bringen frischen Wind in den Ablauf. Dazu gehören das lyrische „Lifetime“, das dynamische „All That Before“ (beide von „Trisector“, 2008) sowie das melodisch verspielte „Bunsho“ („A Grounding In Numbers“, 2011). Im Gegensatz dazu ist „A Plague Of Lighthouse Keepers“ mit seinen 24 epischen Minuten in seiner Opulenz und Komplexität doch eher nur etwas für Hardcore-Fans. Die limitierte Auflage enthält übrigens noch eine zweite CD mit weiteren Highlights von der 2013er-Konzertreihe. Dieses Format mit seinen zusätzlichen 70 Minuten Bühnenpräsenz macht richtig Sinn, da nur so das Erlebnis Van der Graaf Generator in angemessenem Rahmen ausführlich genug angeboten wird.
Abzüge in der B-Note gibt es für den Sound. Der Klang ist nicht schlecht, aber gemessen daran, was heute aufnahmetechnisch möglich ist, wäre besonders beim Gesang, der manchmal zu weit im Hintergrund ist, mehr Transparenz rauszuholen gewesen. Nur bei entsprechend dynamischem Klang kann man die Feinheiten der vielen Abstufungen zwischen laut und leise oder filigran und bombastisch optimal in ihrem ganzen Detailreichtum wahrnehmen und genießen. Nichtsdestotrotz: Van der Graaf Generator sind und bleiben ein Phänomen und Ereignis. Und deshalb ist jede offizielle Veröffentlichung willkommen. Doch die eindrucksvollste Live-Aufnahme bleibt weiterhin das dröhnend-brutale „Vital“, das die Formation als sechs Mann starkes Punk-Art-Ensemble kurz vorm Bersten und Auseinanderfallen im Jahr 1978 dokumentiert. „Merlin Atmos“ zeigt das verbliebene Trio im Vergleich dazu im normalen Arbeitsalltag, was aber auch sehr abenteuerlich anmutet.

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