Verborgene Plattenschätze: Bryndle - Bryndle (1995)

BRYNDLE war eigentlich eine der ersten wirklichen Supergroups, denn alle vier Musiker hatten unabhängig voneinander als Solo-Künstler Erfolg. 

Allerdings teilweise erst, nachdem sie sich nach ihrer ersten gemeinsamen Single von 1970 getrennt hatten. Sie konnten ihre Arbeit erst 25 Jahre später wieder aufnehmen und spielten dann 1995 mit BRYNDLE ihr erstes Album ein. Hier sind sie auf der Suche nach dem perfekten Pop-Song. Und sie kommen diesem Ziel verdammt nahe. Das Album ist ein auskomponierter, perfekt arrangierter, vor Ideen berstender Traum. Die Hirne von BRYNDLE sind KENNY EDWARDS (er war Mitglied in LINDA RONSTADT`s Band STONE PONEYS) und die großartigen Country-Folk-Frauen KARLA BONOFF und WENDY WALDMAN. Außerdem noch der Pop-Exzentriker ANDREW GOLD, der in seiner Karriere zwischen Banalität und Genialität hin und her taumelte. Er arbeitete z.B. für 10CC, hatte Solo-Hits und bildete zusammen mit GRAHAM GOULDMAN das Duo WAX. BRYNDLE sind als Gemeinschaft mehr als die Summe ihrer Teile. Es gibt nicht viele Combos, die mit ihrer Musik Eingängigkeit, Harmonie, Eleganz, Kreativität und Spielfreude auf solch hohem Niveau miteinander verbinden können. Die Songs drängen sich nicht auf. Sie überzeugen durch Klarheit, Wärme und einer kompositorischen Qualität, die aus der großen Erfahrung und dem symbiotischen Zusammenspiel aller beteiligten Vollblutmusiker herrührt.

Das Album klingt in etwa so, als ob FLEETWOOD MAC`s RUMOURS perfektioniert werden sollte, hat aber wesentlich mehr Roots-Rock-Anteile. Das wird gleich beim Opener TAKE ME IN klar. Der RUMOURS-Pop wird hier mit einer behutsamen Southern-Soul-Grundierung versehen. Es entfaltet sich eine zwingende Ohrwurmqualität, die noch durch unwiderstehliche Refrains aufgewertet wird.

Eine ähnliche Wirkung geht von STREETS OF OUR TOWN aus. Dieser optimistische, nach dem Himmel strebende Song ist genau der richtige, um den Tag angemessen zu begrüßen. 

I WANT TO TOUCH YOU swingt seidenweich und hat den perfekten Flow. Der Track vermittelt ein wohliges Gefühl und geht als absolut radiotauglich durch. 

UNDER THE RAINBOW ist eine Mid-Tempo-Nummer mit Folk-Wurzeln. Besonders fesselnd ist wieder der runde, ausgeglichene Harmoniegesang, der wie Öl runtergeht. Der Falsett-Gesang des Refrains kontrastiert erfrischend mit dem nüchternen Lead-Gesang. Mächtige Streicher und hymnischer Chorgesang betonen die aufgebaute Dramatik noch zusätzlich. 

Zu dieser Art von Balladen zählt auch ON THE WIND mit ihrem hohen Wohlfühlfaktor. 

Dabei darf man auch TIL THE STORM GO BY nicht außer Acht lassen. Der göttliche Begleit- und der wechselnde Lead-Gesang sowie eine Melodie, sanft wie Milch und Honig, laden zum Innehalten ein. Die ausgeklügelte, anschmiegsame Instrumentierung begleitet das Geschehen optimal aufeinander abgestimmt. 

Das bittersüße MULBERRY STREET berichtet vom verlassen werden und von der sich danach einstellenden Einsamkeit. Es wird aber auch dargestellt, dass jede Beziehung prägende Momente hat und nicht in Bausch und Bogen nach Beendigung zu verdammen ist. Wo Schatten ist, ist eben auch Licht. 

Als relativ kräftiger Folk-Rock-Titel punktet THE LUCKY ONE nicht durch Geschwindigkeit, sondern durch Souveränität.

WE WALKED THIS ROAD ist im Kern dem Blues verpflichtet, sprengt stilistisch jedoch jede Schublade. Der Song entwickelt sich zu einer munteren Americana-Vollbedienung mit Country-, Folk- und Softrock-Zutaten. 

Eine klagende Slide-Gitarre eröffnet THE WHEEL und diese ist auch im weiteren Verlauf des Stückes präsent. Es geht hier um die Erkenntnis, dass sich alle begangenen Fehler irgendwann zu rächen scheinen. Man trifft sich eben in der Regel mehrfach im Leben. Die Aufnahme verbreitet eine ohnmächtige Stimmung, die den textlichen Inhalt sehr gut wiederspiegelt. 

RIVER OF STONE handelt vom Mut, den man aufbringen muss, um Veränderungen durchzusetzen. Manchmal können wir Entwicklungen nicht beeinflussen, wir werden einfach mitgerissen vom Fluss des Lebens und müssen uns den Herausforderungen stellen. Entsprechend der Botschaft strahlt der Song trotz seines gemäßigten Tempos viel Kraft und Zuversicht aus. 

DADDY`s LITTLE GIRL setzt sich mit Krankheit, Abschied nehmen und Tod auseinander und damit, wie man nach dem Verlust eines geliebten Menschen weiterleben kann. Musikalisch füllt BRYNDLE diese Themen adäquat mit gefühlvollen, sentimentalen Noten. 

Die Hymne JUST CAN`t WALK AWAY bildet den Abschluss eines Albums, das ohne Kompromisse mit Genuss durchhörbar ist und sich auch bei Dauereinsatz nicht abnutzt.

Bei BRYNDLE hat man den Eindruck, dass alle Musiker zugunsten des Gesamtergebnisses ihr Ego in den Hintergrund stellten und den Songs das Korsett verpassten, das ihnen am besten steht. Dabei waren sie effektiv und einfallsreich. Obwohl die Lieder häufig sehr eingängig sind, sind sie weder musikalisch noch inhaltlich banal. Die Poesie der Texte steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Musik. Ihr Sound strahlt Reife, Würde und Gelassenheit aus und ihr Zusammenspiel ist traumwandlerisch aufeinander abgestimmt. Nach BRYNDLE ist noch ein ähnlich überzeugendes Studioalbum (HOUSE OF SILENCE von  2002) und ein Live-Album (LIVE AT RUSS AND JULIE`s von 2003 ohne ANDREW GOLD) erschienen. Nach dem Tod von KENNY EDWARDS und ANDREW GOLD ist jedoch nicht klar, ob es noch mal eine Fortsetzung des Projektes geben wird.